Seit dem 01. April 2017 ist die Videosprechstunde gesetzliche Kassenleistung in Deutschland. Wir haben in Zusammenarbeit mit dem Handelsblatt die Ärzte auf coliquio gefragt, wie ihre Einstellung dazu ist. Die Ergebnisse finden Sie hier.

Uns interessiert vor allem: Wie stehen die einzelnen Ärzte dazu? Ich habe mit Dr. Lothar Bleckmann, HNO in Kleve und seit 2016 Mitglied bei Patientus, über seine Gedanken zur Videosprechstunde gesprochen. Außerdem habe ich ihn gefragt, wie die Digitalisierung seinen Arbeitsalltag bereits beeinflusst.

Sie sind seit 2016 bei Patientus. Was hat Sie bewogen, dort aktiv zu werden?

Prinzipiell halte ich die Videosprechstunde für ein spannendes Angebot, vor allem die Möglichkeit, Befunde zu besprechen. In meinem Fachgebiet, HNO, gibt es nicht ganz so viele Bereiche, in denen ich mit dem Patienten digital kommunizieren kann, da ich vor allem für Verlaufskontrollen den Patienten zur Untersuchung im Raum haben muss. Aber wenn ich in der Folgediagnostik beispielsweise Hörtests oder ähnliches angeordnet habe und die Befunde besprechen möchte, kann ich das natürlich auch ganz leicht online machen.

Um Ihnen ein konkretes Beispiel zu geben: Sie kommen zu mir und sagen, Sie hören schlecht. Stelle ich bei der ersten Untersuchung nichts an Ihren Ohren fest, müssen wir in einem separaten Termin einige Hörtests machen. Die Befunde dieser Untersuchungen können wir dann aber auch sehr gut und ohne Probleme online besprechen. Theoretisch könnten wir das natürlich auch am Telefon machen, aber gerade bei Krankheiten wie z.B. Tinnitus ist es schon ganz hilfreich, das Gesicht des Gegenübers vor mir zu haben, um zu sehen, wie er reagiert.

Es ist natürlich auch ein bisschen der Zeitgeist. Man wird nochmal diskutieren müssen, inwieweit das wirklich sinnvoll ist, aber ich probiere es auf jeden Fall mal aus.

Ich bin im Vorstand der HNO NRW eG. Wir haben bereits im letzten Jahr, also bevor die Videosprechstunde gesetzliche Kassenleistung wurde, mit der Techniker Krankenkasse einen Kooperationsvertrag geschlossen, der diese Leistungen für Versicherte vergütet hat. Dieser Vertrag ist noch in Kraft, läuft jetzt aber aus. Dieser war von der Vergütung her gesehen noch attraktiver als die momentane.

Wie schwer war es, die Videosprechstunde in Ihren Alltag zu integrieren?

Dr. Lothar Bleckmann

In meinem Fall ging es vergleichsweise einfach, da wir eine reine Terminsprechstunden-Praxis sind. Ich habe einfach eine halbe Stunde der normalen Sprechstunde abgezweigt. Werden diese Termine bis 24 Stunden vorher nicht gebucht, werden diese ohne Schwierigkeiten mit Notfall-Patienten gefüllt. Das führt aber in meinem Falle, bzw. bei Fachärzten im allgemeinen nicht dazu, dass mehr Patienten schneller betreut werden. Genauso wenig bin ich deswegen plötzlich 24 Stunden am Tag für meine Patienten verfügbar.

Außerdem haben wir in Deutschland auch immer noch das Fernbehandlungsverbot und Sie dürfen niemanden online behandeln, den Sie vorher nicht schon persönlich in der Praxis hatten. Das ist eine weitere Beschränkung der Videosprechstunde, die vielleicht bald fallen wird. Die Krankenkassen hätten es auf jeden Fall gern.

Wird Tele-Health mehr Raum einnehmen oder „Add-on“ bleiben?

Ich glaube, es wird immer mehr Raum einnehmen, da zunehmend Generationen heranwachsen, die diese Form der Digitalisierung gewohnt sind und auch so haben möchten. Allerdings muss ich auch sagen, dass ich einige Patienten habe, die genau in diesem Alter Mitte 20 sind, denen ich einen online Termin angeboten habe, doch sie kommen lieber in die Sprechstunde. Auch die Kollegen, mit denen ich gesprochen habe, sagen, dass Patienten ihnen bis jetzt noch nicht so richtig die Türen einrennen. Wahrscheinlich braucht es einfach noch ein bisschen, bis sich das etabliert. Aber ich glaube, dass auch Patienten mit ihren Beschwerden lieber einen Arzt vor Ort sehen, der ihnen in die Augen schauen kann und weiterhilft.

Selbst auf dem Land spielt es noch keine so große Rolle. Ich wohne in einer Kleinstadt mit einem relativ großen Einzugsgebiet, in der meine Patienten auch mal 30 – 40 km Anfahrtsweg haben. Sie sind es dann einfach gewohnt, weitere Strecken in Kauf zu nehmen.

Ich glaube die Videosprechstunde ist für einige Zwecke eine sehr gute Sache, für mein Fachgebiet ist es jedoch ein kleiner, überschaubarer Bereich. Sie wird kommen, aber ich begegne dem im Moment noch mit einer gesunden Skepsis.

Ist die Digitalisierung auch in anderen Bereichen Ihrer Praxis auf dem Vormarsch?

Ja, es gibt durchaus einige Bereiche. Ich bin Belegarzt und deswegen mit dem hiesigen Krankenhaus sehr gut vernetzt. Ich kann also von meiner Praxis auf die Akten und Röntgenbilder meiner Patienten im Krankenhaus zugreifen, das ist eine super Sache. Ein anderer Bereich ist der Online-Terminkalender. Hier ist die Digitalisierung ein Baustein, der auch wirklich hilft, da er meine Sprechstunde entlastet und vor allem meine Arzthelferinnen am Telefon.

Der Vorteil ist: Patienten können sich auch nachts um drei Uhr einen Termin erstellen, wenn sie das möchten. Verrückterweise tun sie das auch wirklich. Wir haben auch eine digitale Patientenakte und sind eine papierlose Praxis, was für mich aber inzwischen Standard ist. Ich persönlich würde mir wünschen, dass auf der Krankenkassenkarte noch mehr Daten gespeichert werden könnten, allein Informationen darüber, welche Medikamente der Patient nimmt, da dieser es selbst oft nicht so genau weiß. Das wäre ein enormer Informationsgewinn, müsste aber meiner Meinung nach von den Krankenkassen verwaltet werden.

Für mich ist es interessanter, die Basisdaten von einem Patienten zur Verfügung zu haben und diese nicht immer mit relativ großem Aufwand abzufragen. Die Patienten müssen bei mir einen Anamnesebogen ausfüllen und Medikamente, Allergien, Vorerkrankungen usw. eintragen und das wird dann händisch in unseren PC übertragen. Wenn das natürlich standardisiert auf einer Chipkarte gespeichert wäre, würde das einen enormen Gewinn an Effizienz und Information bedeuten.

Patienten sind zunehmend auf „Dr. Google“ unterwegs, wie gehen Sie damit um?

Dr. Google finde ich nicht schlimm, weil ich in aller Regel doch noch ein bisschen mehr weiß als er. Teilweise passe ich mich Dr. Google auch an, vor allem dann, wenn Patienten mit seltenen Erkrankungen kommen. Da muss ich auch selbst manchmal nachlesen. Wie heißt es so schön, Sie müssen immer nur wissen wo es steht. Ich bin eigentlich ein großer Fan von vorinformierten Patienten. Es kommt immer darauf an, wie sie es rüberbringen. Letztendlich ist es leider oft aber so, dass diese Vorinformation überhaupt nichts wert ist. Die Patienten kommen dann mit irgendwelchen Horrorszenarien. An dieser Stelle muss man die Patienten beruhigen und sagen, das ist Quatsch, das hat damit nichts zu tun“. Nach meiner Erfahrung bekommt man das aber in den meisten Fällen relativ schnell mit dem Patienten besprochen.

Sehen Sie auch eine Gefahr in der Vernetzung der Daten und der digitalen Patientenakte?

Eine Gefahr ist die: Wenn Sie die Gesundheitsdaten allen zugänglich machen, wird die Krankenkasse sofort eingreifen und die freie Berufsausübung des Arztes verhindern. Sie könnte dann infrage stellen, warum der Arzt dem Patient dieses Medikament verschreibt und nicht ein anderes, das bei den anderen 99.000 Patienten funktioniert hat. Im schlimmsten Fall bedeutet das, nur noch evidenzbasierte Medizin zu praktizieren und das kann auch nicht die Lösung sein. Es braucht immer noch die ärztliche Kunst, die in letzter Instanz die freie Entscheidung hat.

Und hier sehe ich eine Entwicklung innerhalb der Politik, die mir nicht so gefällt. Bei aller Digitalisierung und Vernetzung muss der Arzt immer noch als Freiberufler tätig sein können und freie Entscheidungen zum Wohle der Patienten treffen. Ein Zeichen für bessere Bedingungen ist die Hamburger Erklärung, die ich unterzeichnet habe. Vor allem in NRW haben sich die Bedingungen für freiberuflich niedergelassene Ärzte in den letzten 10 Jahren stark verschlechtert. Die Hamburger Erklärung können Sie hier auch nachlesen.

Ich glaube, die Digitalisierung ist ein wichtiger Bestandteil und wird in vielen Bereichen mehr Platz im Praxisalltag einnehmen. Nur darf sie nicht die individuelle Arzt-Beziehung zum Patienten einschränken, sondern sollte diese eher unterstützen.

 

Herr Dr. Bleckmann, vielen Dank für das Gespräch.

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