Medizinische Kongresse – dieses Format ist seit Jahrzehnten so gut wie unverändert geblieben. In den vergangenen Jahren kommt allerdings Bewegung in die traditionsreichen Veranstaltungen: Sie verlagern sich mehr und mehr ins Netz.

Len Starnes stellt diese Entwicklung sehr anschaulich in einer Slideshare-Präsentation dar, die Sie am Ende dieses Artikels ansehen können. Die wichtigsten Aussagen haben wir hier auf Deutsch für Sie zusammengefasst:

Anforderungen der Ärzte an Kongresse verändern sich

Während der Anteil der Digital Natives unter den Ärzten immer größer wird, verändern sich auch die Erwartungen der Ärzte an Medizinische Kongresse:

Digital Immigrants

Digital Natives

  • erwarten, dass die Medizinische Gesellschaft das Kongressprogramm vorgibt
  • wollen das Programm mitgestalten
  • verstehen Medizinische Kongresse als zeitlich begrenzte Veranstaltungen
  • begreifen Kongresse als interaktiven Austausch, der 365 Tage im Jahr stattfindet
  • versuchen, auf Kongressen wann immer möglich persönlich vor Ort zu sein
  • selektieren sehr viel stärker, an welchen Kongressen sie physisch teilnehmen.

In den letzten Jahren lässt sich ein sehr starker Anstieg der virtuellen Kongress-Teilnehmer beobachten. Beim ESC Congress gab es 2014 sogar erstmals mehr virtuelle als physische Teilnehmer, wie aus dem ESC Congress 2014 Congress Report hervorgeht.

Gleichzeitig berichten medizinische Fachgesellschaften wie ESC (European Society of Cardiology), ERS (European Respiratory Society) oder ECCO (European Cancer Organisation) von einer sinkenden Loyalität der Ärzte.

Ein neues Konferenzmodell ist erforderlich

Len Starnes beschreibt einen Paradigmenwechsel: Medizinische Fachgesellschaften würden von den Ärzten nicht mehr als primäre Informationsquelle betrachtet. Daneben gibt es weitere Entwicklungen, die ein neues Konferenzmodell nötig machen:

  • Immer strengere Compliance-Vorgaben
  • Unzufriedenheit mit der Verbreitungsgeschwindigkeit von Informationen zum medizinischen Fortschritt
  • Immer größere Bedeutung digitaler, sozialer Technologien
  • Sinkende Einnahmen für die Veranstalter durch den Rückgang der vermieteten Ausstellungsfläche, da die Einbindung virtueller Features auf Messeständen den Platzbedarf verringert
  • Steigender Druck, die hohen Teilnahmekosten zu senken

In einem zukünftigen Geschäftsmodell könnten die sinkenden Einnahmen aus den Kongressen vor Ort durch neue Einnahmen aus virtuellen Teilnahmemöglichkeiten aufgefangen werden.

Grundvoraussetzungen für Hybrid-Konferenzen sind erfüllt

Am Beispiel des ESC Congress (siehe Slideshare unten) zeigt sich, dass es überzeugende Gründe und gute Voraussetzungen für Online-Communitys der Fachgesellschaften gäbe, die das Zukunftsmodell „Hybrid-Konferenzen“ vorantreiben könnten:

  • Fachgesellschaften verfügen über die Daten ihrer breiten Mitgliederbasis,
  • genießen das Vertrauen und Ansehen der Ärzte
  • und verfügen über herausragenden Content, der genutzt werden könnte

So könnten Hybrid-Konferenzen aussehen

In den nächsten Jahren werden sich die Kongress-Programme mehr und mehr den Erwartungen der Digital Natives anpassen müssen.

In diesem Zuge könnte für Pharmaunternehmen die Wichtigkeit der Bühnenpräsenz und markenzentrierter, didaktischer Vorträge abnehmen. Eine Alternative wären offenere, kollaborative Formate, die es den Ärzten erlauben, sich selbst aktiv einzubringen.

Len Starnes prognostiziert, dass die Kongresse zukünftig durch virtuelle Symposien auf den Online-Plattformen der Fachgesellschaften ergänzt werden. Neben der Möglichkeit zeitlich beschränkter Programme könnten dort unzählige interaktive Formate on-Demand und 365 Tage im Jahr angeboten werden. Die Vorteile einer solchen Entwicklung liegen für Pharmaunternehmen auf der Hand: Nicht nur der ROI ihres Engagements wird messbar, auch die Reichweite ihrer Informationen würde erweitert.

Wie sollte Pharma das Thema angehen?

Das haben wir Len Starnes für Sie gefragt:

Aufstrebende medizinische Hybrid-Konferenzen: Was sollte Pharma tun?

„Medizinische Hybrid-Konferenzen sind seit einiger Zeit brandaktuell und stoßen in der Pharmaindustrie auf immer größeres Interesse. Die Gründe sind naheliegend: Medizinische Konferenzen spielen eine maßgebliche Rolle im Marketing Mix der Unternehmen und verschlingen einen großen Anteil des Marketing Budgets. Die Frage ist: Wie sollten Pharmaunternehmen sich dem Thema am besten nähern?

  1. Intern Aufmerksamkeit schaffen

lm ersten Schritt ist es entscheidend, firmenintern auf Marken- und Business-Unit-Ebene Aufmerksamkeit auf die Angelegenheit zu lenken.

Brand Teams sowie Medical-, Compliance- und Event-Abteilungen müssen die Hintergründe für die anstehenden Veränderungen kennen und verstehen, wie diese sich wahrscheinlich auf ihr Daily Business und das Unternehmen auswirken werden.

Intern muss Verständnis dafür geschaffen werden, dass sich voraussichtlich immer mehr Konferenzbesucher statt der physischen für eine virtuelle Teilnahme entscheiden werden; dass die Größe (und Kosten) der Messestände zugunsten ergänzender virtueller Messeauftritte verringert werden könnte. Virtuelle Standkonzepte wollen entwickelt und neue Formate für gesponserte Symposien gefunden werden.

Eine Anzahl größerer Pharmaunternehmen hat diese Schritte bereits gewagt.

  1. Mit medizinischen Gesellschaften in Dialog treten

Der zweite Schritt besteht darin, mit relevanten medizinischen Gesellschaften eine Diskussion zum Thema anzuregen.

Arbeiten Sie mit den medizinischen Gesellschaften zusammen, um die Implikationen des Wandels für alle Betroffenen zu finden – mit der Zielsetzung, Win-Win-Situationen auszuloten.

Angesichts deren konservativer Natur (und eigentlich auch der Pharmaindustrie) wird das nicht ganz einfach sein. Sie sollten aber im Hinterkopf behalten, dass die Gesellschaften stark auf die Industrie und die finanzielle Unterstützung ihrer Events angewiesen sind.

  1. Das Online-Verhalten der Ärzte beobachten

Außerdem sollten Pharmaunternehmen genau beobachten, wie die Ärzte digitale Kanäle und soziale Medien für professionelle Zwecke nutzen, um deren sich stetig weiterentwickelnde Verhaltensweisen, Präferenzen und Erwartungen besser zu verstehen.

Len Starnes
Len Starnes Digital Healthcare Research & Consulting, Berlin

Bildquelle: Al Nik / Unsplash

Sehen Sie sich hier die Slideshare-Präsentation von Len Starnes mit weiteren Details und konkreten Beispielen an:

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3 Kommentare
  • Kay Rispeter

    Vielen Dank für die interessanten Informationen, u.a. zur virtuellen Teilnahme an Kongressen. Kennen Sie zufällig den Ländersplit bei der virtuellen Teilnahme an der ESC-Tagung? Es würde mich interessieren, wie viel Prozent der virtuellen Teilnehmer aus Deutschland, UK, Italien, Spanien USA kamen.
    Beste Grüße
    Kay Rispeter

  • Luise Recktenwald

    Sehr geehrter Herr Dr. Rispeter,

    vielen Dank für Ihre Anfrage. Die Zahlen zur virtuellen Teilnahme stammen aus dem ESC Congress 2014 Congress Report (S. 72ff), den Sie hier einsehen können:
    http://www.escexhibition.org/ESC2015/Industry%20Site%20Visit%20%2030%20October%202007/ESC%20Congress%202014%20Congress%20Report_Ind.pdf

    Leider ist für die virtuellen Teilnehmer kein Ländersplit hinterlegt. Auf S. 88 unten gibt es immerhin Auskunft zum Social Media Reach nach Ländern.

    Herzliche Grüße
    Luise Recktenwald

  • Anonymous

    Vielen Dank für die schnelle Antwort!
    Das sind ja sehr viele Daten. Interessant fand ich auch u.a. die Zahlen auf Seite 8 des Reports, die zeigen, dass wir Deutschen auf jeden Fall „Präsenzweltmeister“ sind 😉

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