Ärztediskussion, 881 Leser, 25 Kommentare

Beitrag des fragestellenden Arztes für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde:

„Ich habe eine 35-jährige Patientin, die seit Jahren Muskelzuckungen im Gaumen hat. Sie hatte bereits Neuroleptika und Parkinsonmedikamente. Jetzt will man ihr Botox in den Gaumen spritzen, was ich kritisch finde wegen des Schluckens und der Sprache. Fällt jemandem etwas Besseres ein? Nebenbefundlich hat die Patientin ein gestörtes Riechvermögen durch jahrelangen Nasentropfenabusus als Schwimmerin. Dies steht meines Erachtens nicht damit in Zusammenhang.“

 

Sehr geehrter Herr Kollege,
wenn es sich bei den Muskelzuckungen um Faszikulationen handelt, dann sind wir beim Thema „Palatinale Faszikulationen bei nebenbefundlicher N.olfactorius-Laesion“.
Interessant wäre noch, ob bereits eine „leichte“ Schluckstörung vorhanden ist und durch das Vorhandensein von Muskelzuckungen erklärt wird (von der Patientin)?
Wenn dem auch nur ansatzweise so ist, dann wäre der Neurologe der fachlich kompetente Ansprechpartner (wenn der nicht die Neuroleptika und die Parkinsonmedikamente verordnet hat?). Wenn ja, den Neurologen wechseln! Erkrankungen peripherer Hirnnerven, ein sehr komplexes und anspruchsvolles Gebiet!

Allgemeinmediziner


Botox hat neben der kosmetischen Indikation auch durchaus medizinischen Nutzen.
Beim medizinischen Nutzen kenne ich mich zwar nur mit der Stilllegung der Schweißdrüsen in den Achseln aus, aber Patienten von mir, die es aufgrund einer neurologischen Indikation bekamen, waren durchaus sehr angetan davon.
Letztens hatte ich auch eine Patientin die es aufgrund einer Dranginkontinenz vom Urologen bekam, auch das hatte gut geholfen.
Da gibts bestimmt noch wesentlich mehr Indikationen?

Letztlich wirkt Botox ja immer nur eine begrenzte Zeit, zumeist einige Monate. Selbst wenn also etwas schief geht, bzw. der falsche Muskel ausgeschaltet wird, dann kommt die Funktion nach einigen Monaten wieder zurück. Es ist also immer Abwägungssache, je nach Leidensdruck und Risikobereitschaft des Patienten.

Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten


Ich kenne Schluckstörungen nach Therapie eines Torticollis mit Botulinum-Toxin.
Also solche potentiellen iatrogenen Schluckstörungen stelle ich mir als sehr unangenehm vor und das noch „einige Monate“. Vielleicht meldet sich noch ein Kollege der Botox im „neurologischen Einsatz“ hatte?

Allgemeinmediziner


Der palatinale Myoklonus, der übrigens eine zentralnervöse Genese hat (z. B. durch einen Schlaganfall), kann versuchsweise mit Antikonvulsiva (z. B: Carbamazepin) behandelt werden. Hift dies nicht, wird meist eine Botulinumtoxin-Behandlung empfohlen.

Neurologe


Ein palatinaler Myoklonus ist eine sehr seltene zentrale Erkrankung. Häufig fallen die Patienten zusätzlich mit einem Ohrgeräusch, gelegentlich auch mit einem zusätzlichen Nystagmus auf, es handelt sich um eine Bewegungsstörung. Ich nehme an, dass sorgfältige MRT-Diagnostik des Gehirns zum Ausschluss einer Hirnläsion als Ursache stattgefunden hat. Wenn die medikamentöse Therapie nicht erfolgreich war, ist die Behandlung mit Botulinumtoxin die Therapie der Wahl, es gibt dazu eine ganze Riehe von Fallberichten und kleinen Fallserien. Die Dosierungen, die dabei in den Gaumen gespritzt werden sind sehr gering, die Wahrscheinlichkeit, dass Ihre Patientin anspricht ist hoch. Schluckstörungen sind möglich aber bei korrekter Durchführung (Ort der Applikation und Dosis) eher unwahrscheinlich, ich glaube, Sie müssen sich nicht allzuviele Sorgen machen, wenn die Patientin in einem Zentrum behandelt wird, in dem man große Erfahrung mit Dystonien und Botulinumtoxin hat.

Neurologe


Lieber Herr Kollege,
lassen Sie einmal abklären, ob die Patientin ein Thymom hat.
Eine Myasthenie wäre auch möglich.
MRT Hals und Mediastinum müsste Aufschluss geben.

Allgemeinmediziner


Könnte eine Epilepsia partialis continua vorliegen?

Anästhesiologe


Die Behandlung sollte sich auch nach den Beschwerden richten. Ich fand keine Aussagen, was die Patientin stört, außer dass sie den palatinalen Myoklonus hat. Bei vielen Patienten ist der Myoklonus ein Zufallsbefund, ohne dass sie wesentliche Beschwerden haben.
In nicht wenigen Fällen ist der Myoklonus nicht nur auf das Velum beschränkt, sondern auch häufig in der Rachenmuskulatur und dem Kehlkopf nachweisbar. Ähnlich wie bei der spasmodischen Dysphonie des Kehlkopfes kann es nach der Botoxinjektion in den ersten Tagen nach der Injektion zum nasalen Verschlucken kommen, meist passen sich die Patienten aber dann rasch an. Problematischer kann das offene Näseln sein. Deshalb wird häufig bei der Erstbehandlung mit einer niedrigen Dosis begonnen.

Arzt Sprach-, Stimm- und kindliche Hörstörungen


Ich würde – wie einige der Kollegen – ebenfalls primär an eine neuropathische Ursache denken. Ob zentral oder durch Irritation von Hirnnerven wäre weiter abzuklären.
Welche Seite des Gaumens ist betroffen?
Der Abusus mit nasalen Vasokonstriktoren kann eine Rolle spielen, denn das Ggl. pterygopalatinum kann durch nasal zugeführte Substanzen erreicht werden (nutzen wir beim Clusterkopfschmerz durch nasale Instillation von Lokalanästhetika).
Im Foramen sphenopalatinum könnten die durchziehenden Strukturen durch wiederholte nasale Infekte, Schwellungen etc. komprimiert worden sein. (Letztlich ist auch an Borrelien zu denken, die durch Ödeme eine Nervenkompression an den vielen Knochendurchgängen der Schädelbasis/ des Gesichtsschädels führen können).
Also: Neurologische Diagnostik nicht vernachlässigen, ggf. parallel symptomatisch mit Antikonvulsiva therapieren.

Anästhesiologe

 

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