Die digitale Transformation hat Fahrt aufgenommen und erfasst nach und nach jede Branche. Disruptive Start-ups wie Spotify, Uber oder Whatsapp verändern Märkte innerhalb kürzester Zeit. Doch gibt es auch aus der „alten Welt“ Beispiele von Unternehmen, die die digitale Transformation erfolgreich meistern?

Die Recherche nach Gewinnern der digitalen Transformation führte uns in eine ganz andere Sparte: die Stahlindustrie. In diesem Artikel zeigen wir auf, wie es dem Stahlhändler Klöckner & Co gelungen ist, sich in einem veränderten Marktumfeld neu zu erfinden. Warum das auch für uns in der Pharmabranche interessant ist? Die Case Study liefert Erkenntnisse, die auch auf andere Geschäftsfelder übertragbar sind.

Digitale Transformation? Auf jeden Fall! Aber wie?

In der aktuellen Studie „Digitales Deutschland“ hat das Institut der Deutschen Wirtschaft Köln die CEOs von 78 umsatzstarken Unternehmen Deutschlands befragt zum Thema: Wie weit ist die digitale Transformation in Deutschland?

79 Prozent der Unternehmen betrachten die digitale Transformation für ihr Unternehmen als existenziell notwendig. Allerdings hat die Hälfte der Entscheider noch keine fertige Strategie vor Augen, um ihr Unternehmen erfolgreich durch den Wandel zu führen.

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Quelle: www.egonzehnder.com

Von den Besten lernen? Gar nicht so leicht

Fällt Ihnen spontan ein Unternehmen ein, das schon lange am Markt ist und die digitale Transformation erfolgreich gemeistert hat? Auch wir mussten eine Weile recherchieren. Denn in den meisten Branchen verändern neue Player den Markt und verdrängen alteingesessene Firmen. Fündig wurden wir in einer Sparte, die wir bisher gar nicht auf dem Radar hatten: die Stahlindustrie.

Case Study Klöckner & Co: Agieren, nicht reagieren

Ein Unternehmen, das sich in einer krisengeschüttelten Branche behaupten und den Wandel für sich nutzen konnte, ist Klöckner & Co – einer der größten produzentenunabhängigen Stahl- und Metalldistributoren weltweit. Der Duisburger Stahlhändler ist bereits seit über 100 Jahren am Markt und übernimmt heute eine Vorreiterrolle in der digitalen Transformation der Stahlindustrie. Das erklärte Ziel lautet, die Liefer- und Leistungskette durchgängig zu digitalisieren und sich mit Kunden und Partnern digital zu vernetzen. Im Interview mit Dr. Holger Schmidt hat sich Gisbert Rühl, Vorstandschef Klöckner & Co, in die Karten schauen lassen.  Wie ist es dem Unternehmen gelungen, sich erfolgreich neu zu positionieren? Wir zeigen die 4 Trends, die Klöckner & Co erkannt und strategisch umgesetzt hat.

4 Dinge, die Klöckner & Co richtiggemacht hat

1. Start-up-Experten ins Management holen:

Die digitale Transformation ist Chefsache. Deshalb ist die Besetzung von Top-Management-Positionen ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Denn wie kürzlich in der Studie „Arbeitswelt der Zukunft“ nachzulesen war, trauen viele Arbeitnehmer ihren Vorgesetzten nicht zu, ihr Unternehmen erfolgreich durch den Wandel zu steuern. Dieses Misstrauen und die damit verbundene Existenzangst kann dazu führen, dass kompetente Mitarbeiter das Unternehmen verlassen.

  • Klöckner hat hier vorgesorgt, und zahlreiche hochrangige Posten neu besetzt. Digital- und Start-up-Kompetenz ist sogar in der Geschäftsführung vertreten.

„Wir brauchen auf der einen Seite weiterhin bewährte Kräfte, die unsere Industrie kennen. Auf der anderen Seite haben wir aber auch Mitarbeiter von Amazon, Ebay oder Rocket Internet und einer Reihe von Startups eingestellt, die die Digitalisierungsexpertise einbringen und helfen, die Stahldistribution aus einer anderen Perspektive zu betrachten.“

 

Gisbert Rühl, Vorstandschef Klöckner & Co im Interview

2. Leute befähigen, neu zu denken und zu arbeiten:

In Unternehmen, die schon lange am Markt sind, herrscht oft eine konservative Unternehmenskultur, die das Alte bewahren will und Neuem gegenüber skeptisch ist.  Mitarbeiter müssen deswegen digital weitergebildet und für den Wandel motiviert werden.

  • Um einen Mentalitätswandel zu schaffen, schult Klöckner & Co seine Mitarbeiter in der unternehmenseigenen „Digital Academy“ in Arbeitsmethoden, die auch in Start-Ups eingesetzt werden. Zudem wird klar kommuniziert, dass die Branche in Schwierigkeiten steckt und ein Wandel nötig ist. So wird die Selbstverantwortung der Mitarbeiter gefördert.

„Man muss den Mitarbeitern eine Perspektive geben, damit sie die Digitalisierung aus eigenem Antrieb vorantreiben. Das überzeugendste Argument dafür ist Wachstum. Nur wenn Digitalisierung zu Wachstum führt, müssen keine Arbeitsplätze abgebaut werden. Ich habe meinen Mitarbeitern auf der einen Seite ungeschminkt aufgezeigt, dass unser altes Geschäftsmodell in Teilen nicht mehr funktioniert. Auf der anderen Seite habe ich aber auch klargemacht, dass für den digitalen Vorreiter einer Branche große Chancen bestehen, sich vom Wettbewerb zu differenzieren und Marktanteile hinzuzugewinnen.“

 

Gisbert Rühl, Vorstandschef Klöckner & Co im Interview

3. Entwicklung einer Plattform für die ganze Branche:

Viele Erfolgsgeschichten von Start-ups, die mit disruptiven Innovationen den Markt erschüttert haben, basieren auf ein und demselben Geschäftsmodell: Sie schaffen eine eigene Plattform und werden der zentrale Gatekeeper ihres Markts. Ein gutes Beispiel dafür sind die App-Stores von Google und Apple: wer erfolgreich eine mobile Anwendung auf den Markt bringen will, kommt an diesen Gatekeepern nicht vorbei. Airbnb, Uber und Youtube funktionieren nach demselben Prinzip. Der Trend zu Plattformen ist keineswegs eine Besonderheit der Digitalwirtschaft, sondern in fast allen Branchen sichtbar.

  • Deswegen arbeitet Klöckner an einer unternehmenseigenen Serviceplattform, die zum wichtigsten Wettbewerbsvorteil werden soll. Auf der Plattform vernetzt sich Klöckner & Co mit Produzenten, Großhändlern und weiteren Partnern, bietet Schnittstellen und digitale Tools, die von den Kunden genutzt werden. Die Plattform soll langfristig möglichst viele Marktteilnehmer integrieren.

„Plattformen werden für die Wirtschaft immer wichtiger. Sie ermöglichen den Kunden den Zugriff auf ein riesiges Produktspektrum und erhöhen die Transparenz des Marktes. Die vielen kleinen Wettbewerber verfügen nicht über die Ressourcen, um eigene Lösungen zu entwickeln. Diesen kleineren Wettbewerbern werden wir das gesamte digitale Setup bieten, um sie in unsere Plattform zu integrieren.“

 

Gisbert Rühl, Vorstandschef Klöckner & Co im Interview

4. Eine „Digitalisierungsschmiede“ schaffen – außerhalb der traditionellen Strukturen des Unternehmens:

Starre Unternehmensstrukturen und Prozesse sind in vielen Fällen eine große Hemmschwelle für Innovation. Viele Unternehmen gründen daher Tochtergesellschaften oder investieren in Inkubatoren, die fokussiert neue Geschäftsmodelle entwickeln und testen. So wird der Wandel beschleunigt, ohne dass die träge Masse des gesamten Konzerns in Bewegung versetzt werden muss.

  • Klöckner hat mit seiner Digitalisierungstochter kloeckner.i ein Labor in Berlin geschaffen, das nach eigenen Regeln funktioniert. Von hier aus steuert der Konzern die Entwicklung und die internationale Implementierung aller digitalen Lösungen und greift dabei auf im Silicon Valley erprobte Konzepte wie „Design Thinking“ zurück. Mit Start-up-Methoden wird hier an der ersten Version der Plattform gearbeitet.

Der Blick nach links und rechts hilft nicht weiter

Klar ist, dass jedes Unternehmen eine eigene Strategie entwickeln muss, um die digitale Transformation für sich zu nutzen. Oder in den Worten von Gisbert Rühl: „Es gibt keinen Blueprint für diesen Change – ich kann es nirgendwo abschauen; wir gehen komplett neue Wege.“ Klar ist aber auch: Inspirationen für den strategischen Wandel gibt es genug – Unternehmen müssen jetzt handeln, globale Trends erkennen und in eine eigene Strategie übersetzen.

Viele Unternehmen orientieren sich hinsichtlich ihres strategischen Wandels noch zu stark an ihren direkten Wettbewerbern. Das ist riskant, denn die größte Gefahr geht von Start-ups aus, die von außerhalb in den Markt drängen. Innovationen, die ganze Märkte umwälzen, entstehen meist in der Digitalwirtschaft: „Auf schöpferische Zerstörung können nur Gründer setzen, die viel zu gewinnen und nichts zu verlieren haben“ so das Wirtschaftsmagazin brandeins.

Doch was für Start-ups funktioniert, sollte auch für etablierte Unternehmen richtungsweisend sein. Das Beispiel von Klöckner & Co lehrt, dass der analytische Blick in die Start-up-Szene wichtig ist, um die Eckpfeiler für die eigene Strategie zu setzen. Der Stahlhändler hat globale Trends aus der Digitalwirtschaft aufgegriffen und in konkrete Maßnahmen übersetzt, ohne in volles Risiko zu gehen – und es so geschafft, den Wandel selbst voranzutreiben, anstatt bloß darauf zu reagieren.

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Welche Trends aus der Digiconomy Sie im Auge behalten sollten, lesen Sie in unserem Artikel Wie das Internet die Spielregeln der Wirtschaft verändert.

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Nathalie Haidlauf
Nathalie Haidlauf
berichtet für coliquio Insights über die wichtigsten Marketing-Trends und liefert Inspirationen für die Pharmakommunikation der Zukunft.