Als Kardiologe leidet Dr. Stefan Waller während seiner Laufbahn ständig unter Zeitmangel – die Kommunikation mit dem Patienten kommt zu kurz, was dramatische Folgen für dessen Krankheitsverlauf haben kann. Heute nutzt er auch digitale Kanäle, um aufzuklären: Als Dr. Heart richtet er sich online in kurzen Videos an seine Patienten und erklärt Herzerkrankungen auf Augenhöhe.

Wir haben mit dem Kardiologen Dr. Stefan Waller über die Herausforderungen im Praxis- und Klinikalltag gesprochen. Er schildert, wie die Digitalisierung die Kommunikation zwischen Arzt und Patient – und die Gesundheitsversorgung insgesamt – entscheidend voranbringen kann.

„Die sprechende Medizin kommt zu kurz“

Nathalie Haidlauf: Sie sind als Kardiologe in einer großen kardiologischen Facharztpraxis in Berlin tätig. Wenn Sie an Ihren Berufsalltag denken – was finden Sie besonders herausfordernd?

Dr. Stefan Waller: Am herausforderndsten ist immer das Problem der Zeitnot – insbesondere, wenn man angestellt ist und die Taktung nicht selbst gestalten kann. Man findet oft nicht die notwendige Zeit, um Sachverhalte zu erklären, die der Patient kennen muss, um seine Erkrankung bestmöglich in den Griff zu bekommen. Letzten Endes wird aufgrund der Entwicklung unseres Gesundheitssystems die sprechende Medizin nicht mehr wirklich abgebildet.

Nathalie Haidlauf: Was ist – abgesehen vom Zeitmangel – die größte Herausforderung in der Kommunikation mit Patienten?  

Dr. Stefan Waller: Der zweite wichtige Punkt – für alle Mediziner ganz wichtig – ist die Art der Kommunikation. Man muss sich immer wieder daran erinnern, sich auf sein Gegenüber einzustellen. Wenn man sich in Medizinerfloskeln verliert, die für einen selber toll klingen, nimmt der Patient nichts mit nach Hause. Er hat nichts verstanden, will sich in der Situation aber nicht die Blöße geben, das zuzugeben. Dann kommuniziert man aneinander vorbei.

Wir müssen den Patienten in den Fokus setzen: Welche Informationen braucht der Patient? Hat er die wichtigsten Basics, die ich ihm mit auf den Weg gebe, verstanden? Nur wenn er die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit einer Therapie verstanden hat, kann ich den Patienten motivieren, etwas für seine eigene Gesundheit zu tun.

Digitale Informationsangebote können die Qualität des Arztbesuches verbessern

Nathalie Haidlauf: Online sind Sie als Dr. Heart bekannt. Sie haben eine eigene Website, die in kurzen Videos sehr anschaulich erklärt, wie das Herz funktioniert, mit welchen Tipps man den Blutdruck senken kann, wie man Stress vermeidet usw.

Dr. Stefan Waller: Genau, hier verfolge ich den Ansatz, den ich eben beschrieben habe. Ich versuche einfach und verständlich auf Augenhöhe zu kommunizieren. Nicht von oben nach unten, sondern eher wie ein Coach. Aber ich bin da auch ganz uneitel – das wird mir auch nicht an jeder Stelle gelungen sein. Da muss jeder noch lernen und ich auch. Aber es ist zumindest mein Anspruch.

Nathalie Haidlauf: Was war Ihre Motivation, sich auf diese Weise an Patienten zu richten? Haben Sie im Alltag bemerkt: „Es gibt Dinge, die ich immer wieder erklären muss. Es wäre vielleicht sinnvoll sie online anzubieten“?

Dr. Stefan Waller: Das ist für mich tatsächlich aus der gefühlten Notwendigkeit heraus entstanden. Im Krankenhaus habe ich bei einem großen Maximalversorger in der Kardiologie gearbeitet. Da hatten wir sehr hohe Durchlaufzahlen. Man war immer nur beschäftigt, die Betten wieder frei zu bekommen. Wir haben häufig Patienten entlassen, bei denen ziemlich sicher war: „Der hat bestimmt nicht alles verstanden“. Man hat sich dann getröstet und gedacht, der niedergelassene Kardiologe wird es schon richten. Jetzt war ich in einer Praxis in Anstellung und da war es genauso, dass man eine so hohe Patiententaktung hatte, dass auch nicht viel Zeit für sprechende Medizin war.

Das hat mich letztlich frustriert. Also habe ich mir überlegt, dass das Internet ein gigantischer Hebel ist, mit dem Sie heute über Smartphone und Laptop eigentlich jeden Menschen erreichen können. Da ca. 95 % der gestellten Fragen immer wieder die gleichen sind, kann man die super für Videos nutzen und so Leuten ein Grundwissen an die Hand geben. So können sie die kurze Zeit, die sie beim Arzt haben, besser nutzen, da der Arzt nicht bei Pontius und Pilatus anfangen muss, sondern individuelle Fragestellungen besser zusammen besprochen werden können.

Eine Rundum-Digital-Betreuung der Patienten ist die Zukunft

Nathalie Haidlauf: Besprechen Sie auch digitale Gesundheitsangebote mit Ihren Patienten? Empfehlen Sie beispielsweise hilfreiche Apps oder Websites?

Dr. Stefan Waller: Im Gesundheits- und Wellnessbereich gibt es Apps im sechsstelligen Bereich. Da ist natürlich auch viel Humbug dabei, aber es gibt auch sehr viele gute Apps. Und die sollten die Patienten auch nutzen. Gerade bei chronischen Erkrankungen gibt es Apps, die wirklich die Bewältigung der Krankheit erleichtern, z. B. bei Diabetes. Da gibt es die mySugr-App, mit der man nachgewiesen die Blutzucker-Einstellung verbessern kann.

Es gibt auch ganz viele mobile Anwendungen, die einen zu einem gesünderen Lebensstil motivieren sollen. Die haben unterschiedlich starke Erfolge, aber insgesamt sind die sehr gut und ich empfehle sie meinen Patienten auch hin und wieder.

Nathalie Haidlauf: Wie hat sich Ihre Arbeitsweise in den letzten Jahren durch die Digitalisierung verändert? Nutzen Sie bspw. Apps in Ihrem beruflichen Alltag?

Dr. Stefan Waller: Ja, das spielt sogar eine große Rolle. Wir haben jedes Jahr mehrere 10.000 vermeidbare Todesopfer aufgrund von Medikamenten-Interaktionen. Was auch ganz klar ist: kein Mensch kann bei einer Polypharmazie von über zehn Medikamenten sämtliche Interaktionen auswendig kennen. Aber es gibt die entsprechenden Algorithmen, die das leisten und die meisten Mediziner haben auch die entsprechende App „Arznei aktuell“ von ifap – die nutze ich auch – da kann man alle Medikamente eingeben und bekommt dann mit einem Ampel-System angezeigt, was sich nicht verträgt oder was sogar potentiell tödlich enden kann. Und da finde ich es einen Skandal, dass es noch nicht vom Gesetzgeber gefordert ist, dass dieser Algorithmus den Arztbrief, also die Medikamentenliste jedes Patienten automatisch überprüft. Dann könnte der überforderte Stationsarzt, der den Patienten mit diesem Brief entlassen muss, noch einmal gewarnt werden: „In dieser Kombination kannst du Herrn Müller nicht entlassen, weil das potentiell tödlich ist.“ Das wundert mich, dass das nicht schon längst gefordert ist.

Nathalie Haidlauf: Wie schätzen Sie die Rolle von Gesundheitsapps und medizinischen Apps ein? Ist es nur ein kurzfristiger Boom oder werden diese digitalen Technologien Eingang in den Versorgungsalltag finden?

Dr. Stefan Waller: Ich bin mir ganz sicher, dass die Digitalisierung in der Medizin ein ganz wichtiges viertes Standbein in der Gesundheitsversorgung wird. Neben stationär, ambulant und Reha wird die digitale Medizin eine 4. Säule sein, die im Idealfall die anderen Säulen gut ergänzt und die Versorgung insgesamt verbessert.

Das bedeutet, in Zukunft wird der Patient eine umfassende Rundum-Digital-Betreuung bekommen –nicht als Ersatz für die bestehende Versorgung, sondern als Add-on, als zusätzliche Leistung. Dann kann der Patient in einer App seine digitale Gesundheitsakte verwalten, er bekommt Hilfestellung bei seinem Risikofaktoren-Management und kann entsprechende Informationen über seine Erkrankung und seine Medikamente unkompliziert abrufen. Das ist, denke ich, die Zukunft.

Ärzte und Patienten haben die größte Kompetenz, den eHealth Bereich weiterzuentwickeln

Nathalie Haidlauf: Im Bereich eHealth waren bisher Healthcare-Unternehmen und Start-ups die größten Innovationstreiber. Wie sehen Sie hier die Rolle von Akteuren des Gesundheitssystems? 

Dr. Stefan Waller: Am wichtigsten fände ich es, dass sich die Gesundheitsprofis, sprich Mediziner selbst, in diesem Feld mehr engagieren, weil sie wirklich am Patienten dran sind. Ich denke Ärzte können hier hochrelevanten Content liefern – zusammen mit dem Patienten. Denn der Patient ist derjenige, der die Hilfestellung braucht und er kann am besten einschätzen, was ihm helfen würde. Deswegen gibt es auch die App mySugr, die ich vorhin angesprochen habe. Das ist mittlerweile eine riesige Firma. Entstanden ist sie durch Typ 1 Diabetiker, die für ihre Behandlung eine Vereinfachung entwickeln wollten. Wenn Patienten sich an solchen Projekten beteiligen, ist es auch authentisch und macht das Ganze glaubwürdiger. Ärzte und Patienten sollten das Feld eHealth nicht Unternehmen überlassen, denn hier liegt ein enormes Potential und wir Gesundheitsprofis können aktiv mitwirken.

Nathalie Haidlauf: Das würde die Entwicklung auf jeden Fall bereichern und voranbringen. Herzlichen Dank für die vielen interessanten Einblicke, Herr Dr. Waller.

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Nathalie Haidlauf
Nathalie Haidlauf
berichtet für coliquio Insights über die wichtigsten Marketing-Trends und liefert Inspirationen für die Pharmakommunikation der Zukunft.