Dezember 2023

coliquio Stimmungsbarometer

Wie belastet sind Ärztinnen und Ärzte – und was wünschen sie sich?

Der coliquio-Gehaltsreport 2023 hat gezeigt: Von über 1.200 Ärztinnen und Ärzten ist rund ein Drittel unzufrieden im Arztberuf. Stress und emotionale Belastung rangieren unter den größten Herausforderungen. Wir haben daher noch einmal genauer nachgefragt, wie stark die mentale Belastung ist und was sich die Ärzteschaft wünschen würde, um ihre Situation zu verbessern.

56 Prozent der Ärzteschaft fühlt sich mental belastet

Jeder Zweite (56 %) der Befragten aus der Humanmedizin fühlt sich im Arbeitsalltag mental belastet, rund 15 % sogar stark belastet. Nur 13 % geben an, wenig oder nicht belastet zu sein. Am stärksten belastet fühlen sich diejenigen, die hausärztlich tätig sind. In der Zahnmedizin fällt die mentale Belastung insgesamt höher aus (Auswertung siehe unten).

Wie gehen Ärztinnen und Ärzte damit um? Jeder Zweite (54 %) hat bereits aktiv Maßnahmen ergriffen, um der mentalen Belastung entgegenzuwirken. Besonders aktiv sind hausärztliche Tätige (62 %) und Frauen (66 %), wenn es um Stressreduktion geht.

Wünsche der Ärzteschaft: Das sollte sich ändern

Wir haben gefragt: „Wenn Sie jetzt die Möglichkeit zur Verbesserung Ihrer beruflichen Situation hätten, was wären Ihre fünf größten Wünsche?“ Die Top-Antwort: Bürokratie muss weniger werden. Dass dies auf der ärztlichen Wunschliste ganz oben steht, ist wenig verwunderlich: Zu viel Bürokratie wurde sowohl im diesjährigen coliquio Gehaltsreport als auch im Medscape Gehaltsreport, die beide unabhängig voneinander erhoben wurden, als die größte Herausforderung im Arztberuf genannt.

Der Wunsch nach verbesserten gesetzlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen landet für den Großteil der Befragten auf Platz 2. Für die in der Klinik Tätigen wird dies etwas weniger dringlich eingeschätzt: Hier belegt dieser Aspekt nur Platz 4. Stattdessen wäre mehr Zeit für Patientinnen und Patienten deutlich wünschenswerter, was ansonsten bei den meisten anderen Untergruppen Platz 4 belegt.

Könnte mehr Geld die Arbeitssituation – zumindest kurzfristig – verändern? Der Wunsch nach einer besseren Bezahlung ist in allen ausgewerteten Segmenten recht konstant auf Platz Nummer 3. Die Ausnahmen: Bei Ärztinnen belegt der Wunsch nach einem höheren Gehalt Platz 2. Dies unterstützt das Ergebnis im Gehaltsreport, dass sich Frauen im Arztberuf unfairer bezahlt fühlen als ihre männlichen Kollegen. Bei den Jüngeren („unter 45“) ist das Thema Bezahlung sogar der Spitzenreiter der Wunschliste.

Ab Platz 5 auf der Wunschliste wird es wechselhafter: Während in der Klinik die Senkung der Überstundenzahl gewünscht wird, bräuchten hausärztlich Tätige mehr Unterstützung bei digitalen Lösungen wie DiGAs und ePA. Frauen wünschen sich mehr Wertschätzung von Seiten der Öffentlichkeit und Jüngere mehr Zusatzleistungen zum Gehalt.

Was zudem auffällt: Die Wünsche nach mehr Familienmodellen und einer verbesserten Ausbildung ist in der Klinik und bei Ärztinnen und Ärzten unter 45 Jahren deutlich größer als bei den anderen Segmenten. Hier spiegelt sich das Bild wider, das auch eine kürzliche Umfrage unter Assistenzärzten und -ärztinnen in den 24 Mitgliedsländern der European Junior Doctors Association (EJD) ergab. Die Unzufriedenheit und Stressbelastung sei alarmierend hoch und werde durch den Generationswechsel verstärkt: Junge Ärztinnen und Ärzte seien mehr auf ein Gleichgewicht zwischen Beruf und Privatleben bedacht. „Im Gegensatz zu früheren Generationen, welche die Arbeit in den Mittelpunkt ihres Lebens gestellt haben, legen die heutigen Assistenzärztinnen und -ärzte Wert auf ihre Familien, ihre Freizeit und ihre persönliche bzw. berufliche Entwicklung.“, so die Autorinnen und Autoren.

Wir haben auch offen nachgefragt: „Welchen Wunsch würden Sie gerne erfüllt bekommen, damit Sie Ihrer ärztlichen Tätigkeit (wieder) besser nachgehen können?“ Die Antworten beinhalteten viele der oben bereits erfassten Punkte. Zudem wurden weitere strukturelle Mängel, die Rolle der Patientenschaft und die Fachpersonal-Problematik angesprochen. Hier ein paar Auszüge aus den Antworten, die die Vielfalt der Bedürfnisse widerspiegelt:

  • Es sollte erkannt werden, wie wertvoll die über die Jahre erlernten Fähigkeiten und die damit verbundene Erfahrung Einzelner, für den individuellen Patienten und auch für das Funktionieren einer Klinik ist. Die Wertschätzung sollte sich auf die geleistete Arbeit beziehen und nicht an die Position innerhalb der Hierarchie geknüpft sein.
  • Die Möglichkeit zu haben, uneingeschränkt meine Patienten versorgen zu können. Ohne materielle Zwänge und personelle Defizite in der Pflege im OP und Bettenbereich.
  • Unangemessenen Vorstellungen und Erwartungshaltung von Patienten und Angehörigen und Stellenpläne, die nicht schon im Normalfall knapp sind und die Mehrarbeit im Krankheitsfall am Arzt hängen bleiben.
  • Supervision und Coaching, regelmäßige Yoga-, Entspannungsangebote, richtige und nachhaltige Erholung
  • Vorbereitung auf Leitungsaufgaben, etwa Führungskräftecoaching. Außerdem mehr Transparenz bei Entscheidungen der Geschäftsführung, mehr Unterstützung bei der Bewältigung struktureller Probleme.
  • Mehr Flexibilität, was die Arbeitszeit angeht: Ich kann z. B. nie an Schulaktivitäten der Kinder teilnehmen oder mich um kranke Angehörige kümmern, ohne Urlaub zu nehmen. Außerdem ist die Arbeitsdichte zu hoch.
  • Mobiles Arbeiten, um die patientenfernen Tätigkeiten in freie Zeiteinteilung durchführen zu können.
  • Bessere Verzahnung von ambulanter und stationärer Behandlung; bessere Kooperation zwischen den Fachgebieten.

Wie sieht es in der Zahnmedizin aus?

Der Vergleich von Zahnmedizin und Humanmedizin zeigt: Die mentale Belastung wird dort sehr stark wahrgenommen: 69 % der Befragten geben an, stark oder sehr stark belastet zu sein. Das sind 13 % mehr als in der Humanmedizin. Auch in der Zahnmedizin hat schon mindestens jeder Zweite aktiv Maßnahmen gegen die Stressbelastung ergriffen.

Bei der Wunschliste zur Verbesserung der Arbeitssituation ist auch hier die Reduktion der bürokratischen Aufwände ganz oben – mit überwältigenden 90 % im Vergleich zu den ohnehin sehr hohen 71 % in der Humanmedizin.

Auch in der Zahnmedizin folgen auf Platz 2 verbesserte gesetzliche und rechtliche Rahmenbedingungen (80 %) sowie auf Platz 3 die bessere Vergütung (57 %). An vierter Stelle steht der Wunsch nach mehr Wertschätzung und Vertrauen vonseiten der Öffentlichkeit. Danach wird mehr Zeit für Patientinnen und Patienten gewünscht.

Methodik der Befragung

  • Für die Online-Umfrage wurden Ärztinnen und Ärzte, die bei coliquio registiert sind, eingeladen, einen Fragebogen auszufüllen. 
  • Zeitraum: Ende August 2023 bis Mitte September 2023. 
  • Teilnehmende: 1.154 Ärztinnen und Ärzte aus der Humanmedizin, davon 35,5 % weiblich. 33,5 % der Befragten sind in einer Einzelpraxis tätig, 27,9 % in einer Gemeinschaftspraxis/MVZ; 31,8 % in einer Klinik. Zudem haben 143 Zahnärztinnen und Zahnärzte an der Befragung teilgenommen.

Haben Sie Fragen zum Report? Schreiben Sie uns an insights@coliquio.de