Ob „Wer die Daten hat, hat die Macht“, oder „Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts“, die Debatte um eine europäische Strategie zur Datennutzung wird oft mit pathetischen Thesen geführt. Wie coliquio mithilfe von Daten noch besser werden soll – und ob es bei deren Nutzung wirklich um Macht geht – habe ich die Pioniere in Data Science bei coliquio gefragt.

Luise Recktenwald: Starten wir mit einer grundlegenden Frage: Was ist eigentlich ein Data Scientist?

Dr. Slava Kisilevich: Data Scientists kombinieren verschiedene akademische Skills, z. B. Informatik, Statistik und Physik. Wichtig sind zudem Kreativität und eine gute Vorstellungskraft, um sowohl Probleme als auch ihre Lösung in den Daten erkennen zu können.

Wichtig zu wissen ist, dass Data Scientists nicht dasselbe sind wie Data Analysts.

Data Analysts arbeiten mit strukturierten Daten aus dem Bereich der Business Intelligence. Data Scientists gehen noch einen Schritt weiter. Sie arbeiten mit allen Arten von Daten und kombinieren diese so, dass neues Wissen entsteht. Ihre Aufgabe ist es auch, Themen anzustoßen, die bisher niemandem im Unternehmen bewusst waren oder nach denen noch gar niemand gefragt hat.

Das Ziel: Entscheidungen datenbasiert treffen

Luise Recktenwald: Was war bei coliquio der Auslöser, ein Data Science Team aufzubauen?

Max Pampel: Der ausschlaggebende Punkt war der Anspruch, jede Entscheidung datenbasiert treffen zu wollen und auch unsere Produkte datenbasiert zu entwickeln. Ich habe ja durch meinen E-Mail-Marketing-Schwerpunkt schon immer viel mit Daten gearbeitet und war die Data-Ressource bei coliquio.

Wir haben aber festgestellt, dass es das Ziel sein muss, dass wirklich jeder Mitarbeiter bei coliquio sich seine Daten selbst zusammenklicken kann. Nur so schaffen wir es, dass alle Fragen mithilfe von Daten beantwortet werden. Wenn es zu umständlich ist, treffen die Leute Entscheidungen lieber aus dem Bauch heraus.

Max1_web

Luise Recktenwald: Es ist also euer Ziel, eine Infrastruktur bereitzustellen, die so intuitiv und so einfach zu bedienen ist, dass alle Kollegen, die eine Datengrundlage für eine Entscheidung brauchen, sich diese selbst ziehen können?

Dr. Slava Kisilevich: Genau. Das ist eines unserer Ziele. Es gab aber noch einen weiteren wichtigen Grund, ein Data Science Team aufzubauen:

coliquio hat inzwischen eine kritische Menge an Traffic erreicht. Wir haben hier so viele Daten, dass es einfach an der Zeit war, aus diesen Rohdaten verwertbare Informationen zu machen, die coliquio dabei helfen, noch besser zu werden.

So macht Data Science coliquio noch besser

Luise Recktenwald: Ganz konkret: Wie wollt ihr coliquio mit Data Science für Ärzte noch besser machen?

  • Wir wollen mithilfe von Data Science die Informationsbedürfnisse der coliquio-Ärzte noch maßgeschneiderter erfüllen. Jeder individuelle Arzt soll bei uns die Information erhalten, die er gerade für seine tägliche Arbeit benötigt. Dafür gibt es viele Möglichkeiten, an einigen arbeiten wir schon.

    Max Pampel Product Manager Data Science, coliquio

Luise Recktenwald: Und wie werden Pharmaunternehmen in Zukunft von eurer Arbeit profitieren?

Max Pampel: Meiner Meinung nach haben Pharmaunternehmen, die ein Infocenter auf coliquio betreiben, drei zentrale Ziele, bei deren Erreichung wir sie unterstützen können.

Das erste Ziel deckt sich eigentlich mit dem Bedürfnis der Ärzte: Der richtige Arzt soll zum richtigen Zeitpunkt mit der Botschaft des Unternehmens erreicht werden.

Zweitens ist es für Pharmaunternehmen natürlich spannend, über ihre Zielgruppe, die in vielen Fällen recht klein ist, so viel wie möglich herauszufinden und deren Profil zu schärfen.

Der dritte Punkt ist es, die Kommunikation auf dem Infocenter kontinuierlich zu verbessern. Also Rückschlüsse zu ziehen, welcher Content für die Zielgruppe genau der richtige ist.

Das erste Data Science Projekt:
Neue Reportings für unsere Kunden

Luise Recktenwald: Was habt ihr in den letzten Monaten schon erreicht?

Dr. Slava Kisilevich: Das erste Projekt, das wir uns vorgenommen haben waren die Reports, die unsere Kunden jeden Monat erhalten. In der Vergangenheit war damit sehr viel Aufwand verbunden, weil die Reports händisch erstellt werden mussten. Wir haben die Reports automatisiert, aber auch von Grund auf verändert. Unser Ziel war ein visuell ansprechender Report, der intuitiv ist und die Fragen, die unsere Kunden zu ihrem Infocenter haben, übersichtlich und leicht verständlich beantwortet. Dazu haben wir den Report in zwei Teile unterteilt. Jeder ist darauf ausgerichtet, die Fragen zu einem bestimmten Thema zu beantworten.

Max Pampel: Wir haben festgestellt, dass unsere Kunden zwei grundsätzliche Fragen haben: Die eine Frage ist: Wie läuft mein Projekt und erreiche ich einen positiven ROI? Lohnt sich mein Investment? Die andere Frage ist: Wie läuft mein Content? Was kann ich lernen und verbessern?

Das war die Grundlage für diese Unterteilung in zwei Reports. So kann sich jeder Stakeholder auf die Informationen konzentrieren, die für ihn am relevantesten sind. Den meisten Entscheidern genügt wahrscheinlich der Performance Report, während derjenige, der das Projekt betreut, sich sicherlich sehr für den Content Report interessiert. Wir wollten sichergehen, dass sich kein Kunde in Charts verliert und mühsam die für ihn relevanten Informationen zusammensuchen muss. Daher haben wir das bisher 17-seitige Reporting jetzt auf jeweils 3-4 Seiten reduziert.

Luise Recktenwald: Erhalten inzwischen schon alle Kunden den neuen Report?

Dr. Slava Kisilevich: Ja, der Performance Report ist schon ein paar Monate im Einsatz. Er zeigt, wie das Infocenter im Jahresvergleich derzeit performt. Teil 2, der Content Report, bezieht sich stärker auf die inhaltlichen Aspekte und wurde jetzt im Juli ausgerollt.

Luise Recktenwald: Welche Informationen enthält der Content Report denn?

Slava_2_web

Dr. Slava Kisilevich: Der Report enthält Informationen zu den Content-KPIs der Kunden. Zum Beispiel: Wie war die Leserate für die unterschiedlichen Inhalte? Wie haben die Ärzte auf den Inhalt reagiert? Haben sie kommentiert? Haben sie abgestimmt?

Außerdem enthält der Content Report KPIs, die wir gar nicht messen konnten, bevor es uns als Data Science Team gab. Zum Beispiel der Qualifizierte Arztkontakt. Er gibt Aufschluss darüber, wie viele Nutzer wirklich die Botschaft lesen.

Er ist eine wesentlich aussagekräftigere Kennzahl als klassische KPIs wie zum Beispiels die Visits, bei denen man nicht weiß, ob die Leser gleich wieder abgesprungen sind.

  • Der Qualifizierte Arztkontakt ist eine Messgröße, die sich auch mit dem Arztkontakt des Außendienstes vergleichen lässt. Er sagt aus, wie viele Nutzer die Kernbotschaft verstanden haben.

    Dr. Slava Kisilevich Data Scientist, coliquio

Wir machen ja Content Marketing auf coliquio und da geht es gerade darum, dass die Botschaft ankommt. Wir wollen wissen, wie viele Nutzer die Kernbotschaft verstanden haben. Visits auf irgendeiner Seite sind uns nicht genug.

Luise Recktenwald: Und mithilfe von Data Science könnt ihr den qualifizierten Arztkontakt jetzt ermitteln?

Max Pampel: Ja. Es gab die Idee zwar schon vorher, aber als Data Science Team haben wir uns die Datenbank angeschaut und analysiert, wie sich die Lesezeit abhängig von der Beitragslänge verhält. Diese Gleichverteilung haben wir auf die Regeln, auf denen der Qualifizierte Arztkontakt basiert, übertragen. Inzwischen läuft das Ganze automatisiert und jeder Kunde erfährt in Zukunft, wie viele Qualifizierte Arztkontakte jedes seiner Items erreicht hat.

In der Pipeline: Profiling & Recommender-Engine

Luise Recktenwald: Welche Projekte stehen bei euch als Nächstes an?

Max Pampel: Ich sehe zwei zentrale Themen. Da ist zum einen das Profiling: Wir wollen Pharma dabei unterstützen, datenbasiert Fragen zu beantworten, zur Zielgruppe, zum Verordnungsverhalten und zum Content-Marketing.

Die zweite Baustelle wird es sein, unsere Content-Distribution und Ausspielung zu optimieren. Dafür wollen wir eine Recommender Engine entwickeln, also ein Tool, das jedem Arzt möglichst intelligent die für ihn passenden Inhalte empfiehlt.

Dr. Slava Kisilevich: Damit könnte man auch Ärzten andere Ärzte vorschlagen, die für sie aus verschiedenen Gründen interessant sind – zum Beispiel aufgrund ihrer Interessen oder der Uni, an der sie studiert haben. Eine weitere Idee ist es, ein Ärzteranking zu entwickeln, das Pharmaunternehmen dabei hilft, die Influencer in ihrer Zielgruppe zu erkennen.

Die Datenquellen: Vorteile einer Community

Luise Recktenwald: Wenn ich höre, was ihr alles vorhabt, drängt sich mir eine Frage auf: Woher kommen die Daten oder Quellen, die ihr nutzt? Gibt es neben unserer eigenen Datenbank weitere Quellen?

Max Pampel: Es sind in erster Linie unsere eigenen Daten, wir tracken ja wirklich ausführlich. Man muss sehen, dass wir aufgrund unserer Datenstruktur einen entscheidenden Vorteil haben: Jeder unserer User ist auf coliquio registriert und eingeloggt. Wir können daher jeden User eindeutig von einem anderen unterscheiden, im Unterschied zu einer offenen Website. Unser zweiter großer Vorteil ist, dass all unsere Inhalte ICD10-codiert sind. Dieser Standard hilft uns enorm, die Daten zu interpretieren. Wir müssen nicht raten, ob es in einem Artikel um Heuschnupfen oder Grippe geht – da geben uns die ICD10-Codes eine eindeutige Auskunft. Zusätzlich betreiben wir regelmäßig Data Clearing, damit die Daten zu unseren Usern stets aktuell sind.

Individualisierung und Datenschutz – geht das?

Luise Recktenwald: Und wie geht ihr mit dem Thema Datenschutz um? Wie stellt ihr sicher, dass die Daten unserer User geschützt sind?

Dr. Slava Kisilevich: Ehrlich gesagt besteht in dieser Hinsicht für unsere Ärzte kein Anlass zur Sorge. Wir werden niemals die Identität unserer User preisgeben. Zudem nutzen wir die Daten ja in einer generalisierten und aggregierten Form. Es ist überhaupt nicht unser Ziel, auf Einzelarztebene irgendwelche Informationen preiszugeben.

Max Pampel: Genau. Wir verkaufen grundsätzlich keinerlei Daten. Unser Ziel ist es ja immer, die Daten dafür zu verwenden, dem Nutzer ein besseres Nutzungserlebnis zu bieten.

Und wenn wir Erkenntnisse mit Pharmaunternehmen teilen, die diesen wiederum helfen sollen, ihren Job besser zu machen, geht es immer nur um Segmente. Wir lassen grundsätzlich keine Rückschlüsse auf einzelne Nutzer zu.

Luise Recktenwald: Vielen Dank für den spannenden Einblick in eure Arbeit!

Das Data Science Team bei coliquio

Max Pampel
Product Owner Data Science

Als E-Mail-Marketing-Manager und Mitarbeiter der ersten Stunde hat Max Pampel seit jeher viel mit Daten gearbeitet und andere Teams mit seinem Daten-Knowhow unterstützt. Die Automatisierung des E-Mail-Marketings von coliquio über die ‚Dailynews‘ war das erste agile Produktenwicklungsprojekt des Diplom-Kaufmanns. Heute ist Max Pampel Product-Owner des Data Science Teams.

Dr. Slava Kisilevich
Data Scientist

Dr. Slava Kisilevich ist Doktor der Computer und Information Science und verfügt über langjährige Erfahrung als Data Scientist im Bereich Digital Advertisement. Seit November 2015 ist er Data Scientist bei coliquio. Dr. Slava Kisilevich ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Veröffentlichungen, u. a. im Bereich der Social Network Analysis, im Data Mining und Decision Support Systems.

 

Diese Beiträge könnten Sie auch interessieren

Hinterlassen Sie einen Kommentar
E-Mail-Adressen werden nicht veröffentlicht.

Ich möchte Benachrichtigungen erhalten bei weiteren Kommentaren.