Die Zahl der nach Deutschland kommenden Asylsuchenden ist in diesem Jahr besonders hoch. Das macht sich auch in den Arztpraxen oder Erstaufnahmeeinrichtungen bemerkbar: Zahlreiche Menschen, die die Strapazen einer langen Flucht hinter sich haben, benötigen hier medizinische Versorgung. Die betroffenen Ärzte stellt das vor neue Herausforderungen und viele Fragen:

  • Wie können Sprachbarrieren überwunden werden?
  • Wie lässt sich die medizinische Versorgung der Asylsuchenden organisieren? Wer entscheidet, wann ein Asylsuchender zum Arzt darf oder muss – und welche Leistungen werden angeboten?
  • Wie können Ärzte ihre Leistungen abrechnen?
  • Welche Möglichkeiten ehrenamtlichen Engagements gibt es für Ärzte?

Intensiver Austausch der Ärzte auf coliquio

Zu diesen und weiteren Themen findet im Q&A-Bereich auf coliquio in den letzten Wochen ein reger Austausch statt. Anhand einiger Arzt-Statements möchten wir Ihnen einen Einblick geben, wie die Ärzte gemeinsam daran arbeiten, Fragen zu beantworten, Materialien zusammenzutragen und die neuen Herausforderungen zu meistern:

Sprachbarrieren erschweren Anamnese, Diagnose und Behandlung

Ein besonderes Problem in der medizinischen Betreuung der Asylsuchenden stellen Sprachbarrieren zwischen Patient und Mediziner dar. Diese behindern die ordnungsgemäße Betreuung von Asylsuchenden in mehrfacher Weise. Für die Anamnese, Diagnose und Behandlung muss die Kommunikation funktionieren. So beschreiben coliquio-Nutzer ihre Situation:

„Ich finde besonders die Aufklärung von Asylbewerbern schwierig. Laut Gesetzgeber ist die mündliche Aufklärung verpflichtend notwendig. Wenn mich keiner versteht und auch der Dolmetscher stillepostmäßig aushilft oder selbst kaum Deutsch spricht, helfen mir auch die Infoblätter der KZV nicht weiter.“

 

– Zahnarzt

„Gibt es irgendwo eine Übersetzung medizinischer Begriffe, Fragen und Antworten in Englisch, Französisch, Arabisch, Farsi, Dari, Tingrinya usw. oder kann man sich sowas im Internet runterladen? Es geht um die Behandlung von Flüchtlingen, bei denen kein Übersetzer aufzutreiben ist. Wer hat ähnliche Fälle oder kann helfen?“

 

– Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe

„Wir haben in letzter Zeit vermehrt Patienten aus Afrika, die uns aus einem Flüchtlingslager zum Impfen zugewiesen werden. Die Anamnese ist schwer, weil fast nie Impfbücher vorliegen und die Patienten auch selten wenigstens etwas Englisch können. Wir haben in der Gegend auch keine Übersetzer z. B. für Somalisch. Es ist praktisch nicht möglich, eine juristisch haltbare Anamnese oder Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungen durchzuführen. Die Unterstützung durch staatliche Stellen ist, sagen wir mal, bescheiden. Ich fühle mich manchmal zu einer Art Zwangsimpfung gedrängt. […]“

 

Facharzt für Allgemeinmedizin

Organisation und Abrechnung sind vielen Ärzten unklar

Auch Unklarheiten in Abrechnungsfragen stellen Mediziner immer wieder vor Herausforderungen. Da Asylsuchende nicht versichert sind, trägt das Sozialamt zunächst alle Kosten der Behandlung – aber nur für grundlegendste Leistungen. Welche Behandlungen stehen den Patienten zu? Und wer entscheidet, wann ein Asylsuchender einen Arzt aufsuchen darf – und welchen? Gewinnen Sie hier einen Einblick in den Austausch der Ärzte zum Thema:

„Ich bin als Hautarzt in einer Kleinstadt niedergelassen. Neuerdings haben nun auch wir unsere ersten Asylbewerber in der Stadt und so allmählich kommen unsere neuen Mitbürger aus dem Senegal in meine Hautarztpraxis. Meine Fragen:
Wie erfolgt die Abrechnung? Muss der Patient erst zum Hausarzt oder darf er einen Facharzt frei wählen? Ich gehe davon aus, dass wir uns auf eine Behandlung, die das Notwendigste erfüllt, beschränken sollen? Hat jemand von Ihnen mehr Erfahrung?“

 

– Facharzt für Dermatologie

„Richtig! Die Asylbewerber müssen zuerst zum Allgemeinarzt; der kann dann von einer entsprechenden Stelle beim Landratsamt einen Behandlungsschein anfordern und notfallmäßige Behandlungen durchführen. Die Überweisung zum Facharzt muss jedes Mal vom Gesundheitsamt genehmigt werden. Wie sieht es mit dem Versicherungsstatus der Flüchtlinge aus?“

 

– Facharzt für Allgemeinmedizin

„Zur Abrechnung s.o.: Notfallversorgung wird allgemein auf Notfallschein abgerechnet nach EBM bei KV. […] Abgerechnet wird eh immer nach EBM, nie GOÄ bei Asylbewerbern, Sozialhilfe etc., aber extrabudgetär. Ausnahme ist Eingangsuntersuchung inkl. Röntgen etc., das ist vom Gesundheitsamt zu leisten. […]

 

Wenn allerdings Asylbewerber Leistungen wünschen, die nicht nach §4 klar Bestandteil des AsylblG sind, was effektiv, wenn man ehrlich abrechnet, oft der Fall ist, sind diese entweder vom Sozialamt gesondert nach Ermessen zu genehmigen und dann nach EBM abzurechnen. […]

 

Nach 15 Monaten werden alle übrigens automatisch bei der gesetzlichen Krankenkasse angemeldet, bekommen eGK und haben dann komplette Kassenbehandlungsansprüche nach EBM im Budget.“

 

– Facharzt für Gastroenterologie

Die coliquio-Redaktion liefert zusätzliche Informationen

Die aufgeworfenen Fragen werden zum einen durch andere Ärzte beantwortet, zusätzlich trägt unser Redaktionsteam nützliche Informationen und Materialien zusammen und verweist auf weitere Quellen, darunter beispielsweise:

 

  • Regelmäßige Newsletter, um die Mediziner gebündelt auf die Informationen zum Thema auf coliquio aufmerksam zu machen
  • Verzeichnisse von medizinischen Dolmetschern
  • Aufklärungsbögen in verschiedenen Sprachen
  • Verweise zu kostenlosen Wörterbüchern
  • Allgemeine Informationen zum Versicherungsstatus der Asylsuchenden
  • Erklärungen zu den Leistungsansprüchen
  • Organisationshinweise für den Praxisalltag

 

In Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern, darunter auch Juristen und Abrechnungsexperten, beantwortet coliquio praktische Fragen der Ärzte, z. B. zur Kostenübernahme für Dolmetscher-Honorare.

„Vielen Dank für Ihre Mühe, Informationsmaterial zu Krankheitsbildern bei Flüchtlingen und Infomaterial zum Impfen bereitzustellen.
Aktuell fand ich die Flyer zur Erklärung des Impfens in Arabisch und Farsi sehr hilfreich.“

 

– Facharzt für Allgemeinmedizin

Auch Pharmaunternehmen helfen mit praktischem Wissen

Auch mehrere Pharmaunternehmen haben auf ihren coliquio-Infocentern bereits spezifische Aspekte der Versorgung der Asylsuchenden aufgegriffen und bieten Ärzten damit praktische Unterstützung im Alltag. Die Themen reichen von Hinweisen zum Impfen von Asylsuchenden über den Umgang mit traumatisierten Asylsuchenden bis zur Neubewertung des Tuberkulose-Screening-Verfahrens in den Unterkünften für Asylsuchende durch das RKI.

Austausch zur medizinischen Versorgung von Asylsuchenden auf coliquio:
Ein Beispiel für den ‚Dialog für bessere Medizin‘

Ärzte lösen auf coliquio jeden Tag gemeinsam Patientenfälle – die medizinische Versorgung von Asylsuchenden ist da ein wichtiges Thema unter vielen. Weil so viele Ärzte betroffen sind, ist es zugleich ein anschauliches Beispiel dafür, was eine Online-Ärzte-Community wie coliquio leisten kann. Fachlicher Austausch kann dazu beitragen, dass die Medizin bei der Versorgung von Asylsuchenden tatsächlich besser wird.

Mediziner diskutieren und beantworten offene Fragen auf coliquio überregional und fachgebietsübergreifend und tauschen Erfahrungen, Tipps und Ratschläge aus. Auch Pharmaunternehmen, das coliquio-Team und weitere Experten bringen ihr spezifisches Wissen ein.

Durch diesen interdisziplinären Austausch profitieren zahlreiche Ärzte in ihrem Berufsalltag – und noch mehr Patienten von einer besseren medizinischen Versorgung.

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