Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) verpflichtet alle Vertragsärzte zum Bereitschaftsdienst – auch spezialisierte Ärzte. Für die betroffenen Ärzte ist das ein Thema von hoher Brisanz: Schon Anfang des Jahres diskutierte die coliquio-Community sehr rege die Fragestellung, ob „Nichtorganiker“ wie ärztliche Psychotherapeuten oder Pathologen, die möglicherweise seit Jahrzehnten keinen Patienten mehr organmedizinisch behandelt haben, den Bereitschaftsdienst tatsächlich leisten sollten.

Diese Frage ist nun mit einem aktuellen Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) zumindest juristisch geklärt (Az.: B 6 KA 41/14 R): Danach darf die KV beispielsweise ärztliche Psychotherapeuten zum Bereitschaftsdienst heranziehen, sofern ein Nachweis über entsprechende Fortbildungen vorliegt. Ist dies nicht der Fall, darf die KV den Arzt zu diesen Fortbildungen verpflichten und hierzu auch disziplinarischen Druck bis hin zum Zulassungsentzug ausüben.

Spezialisierte Vertragsärzte finden sich damit wohlmöglich in dem Dilemma, entweder ihre Approbation oder das Patientenwohl – etwa aufgrund fehlender organmedizinischer Praxis – riskieren zu müssen. Andererseits könnte ein solches Vorgehen von Seiten der KV auch einem zu starken ärztlichen Tunnelblick entgegenwirken. In der coliquio-Community löste das BSG-Urteil erneut eine Diskussion aus. Einige Statements können Sie hier nachlesen.

Die Mehrheit Ihrer Kollegen ist sich einig: Psychotherapeuten, Psychiater oder Pathologen sollten nicht zum Bereitschaftsdienst herangezogen werden. Den Dienst sollten Ärzte mit praktischer Erfahrung und „engmaschiger Routine“ machen. Das BSG-Urteil sei „weltfremd“.

„Einem Pathologen einen ärztlichen Notfalldienst am Wochenende zuzumuten, ist eigentlich eine Verletzung der Fürsorgepflicht der KV“

 

Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe

„Als Klinikarzt erlebt man weitere Facetten des Problems: Spezialisierte Ärzt/Innen in der Notfallsprechstunde weisen erheblich mehr Patienten stationär ein.

 

Einzige Lösung wäre m. E. die Notfallsprechstunden grundsätzlich in Kliniken anzubinden und entsprechend aus dem KV – Topf ausreichend Mittel „abzuzweigen“, um dies großzügig zu honorieren. Die Dienste sind dann für niedergelassene Ärzte zugänglich zu machen, die dies können und wollen. Die niedergelassenen Kollegen, die lieber freie Wochenenden haben, müssen dies dann mit reduzierten Vergütungen aus dem Topf finanzieren.
Das wäre zumindest gerecht!“

 

Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin

Ein anderer Arzt fügt hinzu, dass es ja im Notdienst nicht immer nur um Husten, Schnupfen, Heiserkeit ginge. Auch sei die Medizin heute derart schnelllebig geworden, dass die Freizeit nicht einmal mehr ausreiche, im eigenen Fachgebiet stets umfassend und topaktuell auf dem Laufenden zu sein. Theoretische Kenntnisse könne man relativ schnell erwerben, aber technische Könnerschaften unter Zeitdruck – das lerne man mal nicht so eben in einem Wochenendseminar. Weitere Ärzte pflichten bei:

„Ich bin seit 25 Jahren in der Notfallmedizin tätig mit allen umfassenden Sektionen. Man kann das nicht mit ein paar Fortbildungen lernen. Seit mehr als 20 Jahren begleite ich auch den ärztlichen Notdienst. Auch in diesem Bereich ist es mit ein paar Fortbildungen nicht getan. Ich verstehe nicht, warum man Psychotherapeuten, Psychiater oder Pathologen zu diesen Dienst heranziehen muss.“

 

Notfallmediziner

Ein anderer Kollege ergänzt, die Ärztekammer sei der Ansicht, dass man als spezialisierter Facharzt in den Privatbehandlungen das eigene Fachgebiet nicht überschreiten solle und fragt, wieso das im Notdienst gehe. Für viele Kollegen steht das Urteil unmittelbar mit Einsparungen im Zusammenhang:

„Es geht halt immer ums Geld und um die Belange von Interessengruppen und nicht um die Belange der Patienten: speziell ausgebildete Notfallärzte sind zu teuer, da lässt sich auf das allgemeinbildende Medizinstudium zurückgreifen, das mancher vor Jahrzehnten absolviert hat“
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie

 

Einige Ärzte können der Pflicht zum Bereitschaftsdienst für alle jedoch auch positive Aspekte abringen:

„Ich sehe das nicht ganz so wie die große Mehrzahl der Kollegen hier. Noch existiert zumindest als Ideal die Einheit des Arztberufes, und gelebt wird sie heute nur noch im Notdienst. Von daher sehe ich durchaus einen positiven Aspekt darin, sich zumindest im Rahmen des Möglichen „handwerklich“ fit zu halten für akute Fälle jenseits der eigenen Facharzt-Anerkennung.“

 

Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe

Andere Kollegen relativieren, was im ärztlichen Bereitschaftsdienst tatsächlich zu leisten ist. So schreibt ein Arzt:

„Ich bin einer der – neben Pathologen – vielzitierten Psychiater und Psychotherapeuten. Reflektieren wir doch einmal, was im ärztlichen Bereitschaftsdienst zu leisten ist: es geht nicht um ausgefeilte Diagnosen. Sondern um erkennen u. behandeln einer begrenzten Zahl von Akutfällen und deren adäquate Versorgung, bis am nächsten Tag der Haus- od. Facharzt wieder zuständig ist. Dabei gibt es immer noch die Option, bei Überforderung die Notfallambulanz des Krankenhauses in Anspruch zu nehmen. Den Anspruch, das im Studium gelernten Notfallkompendiums auf dem Stand zu halten, darf man haben.
Wichtig ist, dass parallel an jedem Tag ein kinderärztlicher Bereitschaftsdienst dieses Spezialgebiet abdeckt – wird weder von Pädiatern aller Landkreise gewollt noch von der KV als Qualitätssicherung durchgesetzt.“

 

Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie

 

Ein Allgemeinmediziner pflichtet bei: Wenn man den Anspruch habe, im Alltag noch den gesamten lebenden Menschen zu behandeln und nicht nur Diagnosen, habe man das Rüstzeug für den Ärztlichen Bereitschaftsdienst.

Ein Hausarzt wünscht sich zudem mehr Verständnis für die immer weniger werdenden niedergelassenen Allgemeinärzte, die den Bereitschaftsdienst bislang überwiegend alleine erledigt hätten und diese Last auf Dauer nicht alleine tragen könnten. Ein Facharzt für Innere Medizin pflichtet bei:

„Das eigentliche Problem ist, dass es immer weniger Allgemeinärzte gibt, die diese Dienste besetzen können. Es ist absolut ungerecht, dass unsere allgemeinärztlichen Kollegen diese Versorgung alleine stemmen sollen. Das BSG hat wohl seine Entscheidung aufgrund der absehbaren Versorgungslücken so gefällt.“
Facharzt für Innere Medizin

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