Naturheilkunde statt Schulmedizin?
Eine 45-jährige Patientin mit diagnostiziertem Mammakarzinom lehnt die neoadjuvante Chemotherapie ab und wendet sich stattdessen an die Naturheilkunde, die ihr einen Tumorrückgang in Aussicht stellt. Sie hat eine Klinik gefunden, die bereit ist, sie auch ohne vorherige Chemotherapie zu operieren.
Nun verlangt die Brustkrebspatientin von ihrem behandelnden Arzt, den zu erwartenden Tumorrückgang sonographisch zu verfolgen, zu kontrollieren und zu dokumentieren.
Wie geht ein behandelnder Arzt damit um, wenn er überzeugt ist, dass sich seine Patientin falsch entschieden hat? Dies stellt ihn vor ethische wie auch rechtliche Fragen, die er auf coliquio zur Diskussion stellt:
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Wie soll man sich gegenüber der Patientin verhalten? a) Menschlich: Soll man sie fallen lassen? b) Kassentechnisch: Wie weit wird diese Art der duldenden Betreuung durch die Kassenmedizin toleriert? c) Sind rechtliche Konsequenzen aus dieser Art der duldenden Betreuung zu erwarten?
Lesen Sie hier, wie die Community dem Arzt weiterhilft:
… Insgesamt finde ich, man sollte (fast) jeden Weg, den ein Patient in einer solchen Situation gehen möchte, als Arzt begleiten, wohlwollend kommentieren und auf Gefahren und Irrwege hinweisen, andernfalls besteht die große Gefahr, solche Patienten an irgendwelche Scharlatane zu verlieren.
Als Hausarzt mit den Zusatzbezeichnungen Naturheilverfahren und Homöopathie stehe ich immer wieder vor ähnlichen Problemen. Ich erkläre den Patienten ganz offen und ehrlich, welche Maßnahmen ich für sinnvoll, akzeptabel, unsinnig oder auch gefährlich halte und stoße damit auf gute Akzeptanz. Gerade die Tatsache, dass ich bereit bin, auch in meinen Augen unsinnige Maßnahmen zu tolerieren (nicht selber durchzuführen!), hat dazu geführt, dass Patienten meine Warnung vor gefährlichen Maßnahmen ernst genommen und beherzigt haben.
Ich denke, es ist viel sinnvoller, auch Irrwege, selbstverständlich nach Aufklärung usw., glaubwürdig, aber ohne Abwertung der Patientin, zu begleiten und so die Rückkehr auf den konventionell medizinischen Weg offen zu halten. Das hat m.E. auch etwas mit Achtung der Autonomie der Patientin zu tun.
Facharzt für Allgemeinmedizin
Weder müssen Patienten alles mitmachen, was Ärzte richtig finden, noch müssen Ärzte alles mitmachen, was Patienten richtig finden.
Wichtig ist klar, offen und ehrlich – mit Herz und Verstand – zu kommunizieren. Und auch beim Aufgleisen einer eventuellen Weiterbehandlung behilflich sein.
Facharzt für Neurologie
Eine neoadjuvante Chemotherapie ist zwar modern, aber wohl das dümmste, was man einer naturmedizinisch interessierten Patientin anbieten kann. Die neoadjuvante Chemo schadet zu 100 %, nützt aber nur maximal 8 % der Patienten.
Allein die Ablatio schafft über 60 % Heilung, ohne jede weitere Zusatzmaßnahme. Danach und begleitend können Ernährungsumstellung, Vitamine, Bewegung, Kurkumin usw. eine Ausbreitung verhindern helfen. Eine Garantie für den Erfolg kann weder die Schulmedizin noch die Naturheilkunde liefern, aber die Schulmedizin liefert immer Dauerschaden durch die Chemo – und das zur „Vorbeugung“ von Metastasen.
Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Es gibt anthroposophisch ausgerichtete Kliniken, die beides parallel anbieten. … Vielleicht lässt sie sich auf einen Kompromiss ein. … Aber Vorsicht vor zu viel Zurückhaltung. Die Botschaft muss klar sein: Ein ablehnendes Verhalten verschlechtert dramatisch die Prognose und sie übernimmt die 100 %ige Verantwortung.
Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Wenn ich etwas nicht mittragen kann, rate ich der Patientin, woanders eine Zweitmeinung einzuholen. Wo es sinnvoll ist, kann ich auch Naturheilverfahren anwenden. Wir müssen uns nicht alles von den Patienten diktieren lassen. Im Zweifelsfall verliere ich lieber eine Patientin an einen Kollegen anstatt ewig ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn es schiefgeht.
Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Sie werden mit der Patientin am besten zurechtkommen, wenn Sie ihre Entscheidung respektieren. Es wäre jedoch ratsam, noch einmal über die schulmedizinischen Möglichkeiten aufzuklären, das Gespräch zu dokumentieren und die Patientin zu bitten, dies zu unterschreiben. Informieren Sie sie, dass dies Ihrer rechtlichen Absicherung dient, nicht mehr und nicht weniger.
Vermitteln Sie, dass Sie nicht „böse“ sind, weil die Patientin Ihrem Therapievorschlag nicht folgt. Dass die Patientin jederzeit, wenn sie ihre Meinung ändert, mit Ihnen sprechen darf. …
Ich wüsste nicht, warum man eine solche Patientin menschlich „fallen lassen“ sollte, wenn das Vertrauensverhältnis vor der Erkrankung ungetrübt war.
Facharzt für Neurologie
… Für die ausgewählte Chemotherapie würde ich die Studien mit der Patientin gemeinsam sichten, damit sie das Für und Wider selbst nachvollziehen kann. Sie muss sie selbst lesen, verstanden haben und dann entscheiden, sollte auch das Recht auf eine Zweitmeinung einfordern.
Wir dürfen nicht erwarten, dass die Patientin unserem Wissensvorsprung einfach vertraut. … Wie soll denn ein Patient, der die Studien nie im Original gelesen hat, entscheiden, ob der Arzt die Chemotherapie empfiehlt, weil sie wissenschaftlich begründet ist …?
Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie
… Dass Patienten ärztlichen Empfehlungen nicht folgen, auch mit der Folge unnötiger Lebensbedrohung, ist ja zunächst nichts Ungewöhnliches.
Wir haben heutzutage (auch juristisch) eine völlig andere Auffassung von der Rolle des Arztes und dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Der Patient ist (solange er über einen freien Willen verfügt auch unbestritten) autonom in seinen Entscheidungen über Eingriffe in seinen Körper. Der Arzt kann Behandlungen gegen den Willen eines solchen Menschen nicht rechtskonform erzwingen – das folgt aus unserem Verständnis der Menschenwürde. Folglich muss ein Patient in eine Behandlung einwilligen, um diese (als Körperverletzung einzustufende Tätigkeit) zu legitimieren, eine Einwilligung jedoch bedarf wiederum der Aufklärung, ansonsten ist sie unwirksam.
Wenn die Entscheidung Ablehnung lautet, so ist das Ausdruck der Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechtes eines Menschen. Ich erkenne darin keinen Angriff auf den Arzt und auch nicht die Infragestellung seiner Kompetenz. Im Gegenteil, der Patient kommt ja sicher nicht zu Ihnen, weil er Ihnen misstraut oder Ihnen nichts zutraut, aber er hat eben eine eigene Entscheidung getroffen.
Selbstverständlich kann auch eine Krankenkasse sich nicht auf Basis einer (der Patientin zustehenden) ablehnenden Entscheidung aus der weiteren Kostenübernahme für indizierte Diagnostik und Therapie entziehen.
Wenn die Patientin hier gesprächsbereit ist, würde ich versuchen, darauf einzugehen, eine Art motivierende Gesprächsführung versuchen, auch Angebote vermitteln wie Selbsthilfegruppen, Kontakt zur Deutschen Krebshilfe und gegebenenfalls zu Psychotherapeuten.
Wenn ich mir Mühe gegeben habe, der Patient verstanden hat, dass seine Entscheidung mit einer deutlich schlechteren Heilungschance oder höheren Morbidität verbunden ist, er aber diese Entscheidung dennoch trifft – so steht ihm das zu und ich werde ihn unter diesem Aspekt dennoch bestmöglich hinsichtlich verbleibender Optionen betreuen und natürlich versuchen, von Zeit zu Zeit (solang diese noch ist), das Gespräch erneut zu führen, da sich Einstellungen ja auch verändern können.
FA für Psychiatrie und Psychotherapie
Der behandelnde Arzt nimmt die Lösungsvorschläge auf und schließt den Fall mit folgenden Worten:
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Man sollte die Patientin wohlwollend begleiten, auf Gefahren und Irrwege hinweisen. Die Patientin empathisch aufklären, Literatur und Studie zitierend davon überzeugen, dass der schulmedizinische Weg der richtigere Weg ist, wobei man dies Alles dokumentieren sollte. Eine anthroposophisch ausgerichtete Klinik, die beides parallel anbietet, wäre ein Kompromiss. Dank des Forums hat die Patientin heute einen Vorstellungstermin in einem Gemeinschaftskrankenhaus.
Bildquelle: Kelly Sikkema / Unsplash
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