Vernetzte Ärzte. Vernetzte Patienten.
Was glauben Sie – wo sind die besten Ärzte ansässig? In ein paar Jahren wird diese Frage irrelevant sein. Jeder Patient wird dann unabhängig von seinem Wohnort gleich gut versorgt; auch auf dem Land, wo es derzeit Versorgungsengpässe gibt: Vernetzte Medical Devices und der Trend zur personalisierten Medizin sind dabei, die Gesundheitsversorgung zu verändern. Wir fassen zusammen, wie Patienten in Zukunft versorgt werden – und welche Rolle die Ärzte dabei spielen.
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„Information technology can and will change almost everything we know and believe about healthcare.“
Telemedizin: Der Arzttermin wird ortsunabhängig
Telemedizin ist seit 2017 Kassenleistung
Das Treffen im virtuellen Sprechzimmer ist keine futuristische Vision, sondern bereits Realität. Denn seit dem 1. April 2017 ist die Videosprechstunde in Deutschland per Gesetz nicht nur erlaubt, sondern eine reguläre Leistung der gesetzlichen Krankenkassen, die Patienten freiwillig in Anspruch nehmen können. Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist endgültig um die digitale Dimension erweitert.
Telemedizin mildert Versorgungsengpässe auf dem Land
Das hat eine Vielzahl von Vorteilen: Die Ortsunabhängigkeit wirkt den Versorgungsengpässen auf dem Land entgegen und ermöglicht es Patienten, unkomplizierte Untersuchungen von zuhause aus wahrzunehmen – ohne einen langen Anfahrtsweg auf sich zu nehmen oder viel Zeit im Wartezimmer zu verbringen. Bisher beschränkt sich Telemedizin in Deutschland auf wenige Anwendungen wie z. B. die Nachuntersuchung von Wunden. Außerdem müssen sich Arzt und Patient vorab kennen. Nach einem ersten Gespräch vor Ort ist es möglich, die Behandlung online fortzusetzen.
Telemedizin ermöglicht Spezialisierung der Ärzte
In den nächsten Jahren wird Telemedizin im Arztalltag weiter an Bedeutung gewinnen. Wie auch andere Branchen, müssen sich Ärzte mit einer wachsenden Datenbasis und einem stetig wachsenden Wissensstand auseinandersetzten. Schon heute verdoppelt sich das medizinische Wissen alle 5 Jahre. Im Umkehrschluss heißt das auch, dass Ärzte nicht mehr allwissend sein können und dass es verschiedene Spezialisten geben wird – die an verschieden Orten ansässig sind. Patienten wohnen dann nicht mehr in der unmittelbaren Nachbarschaft, sondern können sich über ganz Deutschland verteilen. Ein Spezialist für Atemwegserkrankungen, der in Hamburg ansässig ist, wird dann genauso Patienten in Frankfurt oder München behandeln. Besonders bei engmaschigen Kontrollterminen bietet sich die telemedizinische Beratung an, um beide Seiten zu entlasten. Als Arzt kann man sich so einen ersten Eindruck verschaffen, bei Unsicherheiten muss aber unbedingt ein persönlicher Termin vereinbart werden. Telemedizin wird ein wichtiger Baustein der Gesundheitsversorgung werden.
Vernetzte und automatisierte Klinikaufenthalte
Einbeziehung von Spezialisten wird ortsunabhängig möglich
Manche Krankenhausaufenthalte werden weiterhin unumgänglich sein. Auch hier wird Telemedizin eine entscheidende Rolle spielen, zum Beispiel in Form von Doc2Doc-Sprechstunden. Unter Doc2Doc versteht man die Übermittlung von Patientendaten von Arzt zu Arzt zum Einholen einer zweiten Meinung, zum Wissensaustausch oder auch zur Aus- und Weiterbildung von Fachpersonal. Durch Telemedizin können zudem internationale oder nationale Spezialisten, die Experten auf dem jeweiligen Gebiet sind, bei OPs zugeschaltet werden.
Roboter und künstliche Intelligenz halten Einzug in den OP
Auch künstliche Intelligenz wird den OP-Alltag verändern. Schon seit geraumer Zeit unterstützen Roboter mit künstlicher Intelligenz den Klinikalltag. Dabei schütteln sie Reagenzgläser, sortieren Gewebeproben und überwachen die Medikamentenvergabe mit hoher Zuverlässigkeit. Zukünftig werden intelligente Roboter völlig selbstständig OPs durchführen. Mediziner werden das Geschehen über einen Bildschirm – sei es im selben Krankenhaus oder von einem anderen Kontinent aus – verfolgen und Anweisungen geben. Laut einer Studie gehen 98 Prozent der Mediziner davon aus, dass telemedizinisch unterstützte Operationen im Klinikalltag an Bedeutung gewinnen werden.
Dank der hohen Präzision von künstlicher Intelligenz kann beispielsweise wesentlich näher an Tumoren geschnitten werden, als ein Mensch es könnte. Durch jeden Eingriff wird die Software besser, weil sie selbstständig dazulernt. Zusätzlich können Untersuchungs- und neuste Forschungsergebnisse in einen größeren Zusammenhang gesetzt werden.
Digitales Patienten-Monitoring entlastet das Pflegepersonal
Auch außerhalb des OP-Saals wird sich der Klinikaufenthalt – für Mediziner und Patienten – verändern. Eine Kommandozentrale, die die Patienten überwacht und das Patientenrisiko auf Grundlage von klinischen Algorithmen und internationalen Vergleichswerten beschreibt und die Pflegeteams sofort über wichtige Änderungen benachrichtigt, wird die Behandlung verbessern. Experten erhoffen sich davon, die Krankenhausaufenthalte zu verkürzen und die Sterblichkeit zu senken. Teile des Arztberufes werden automatisiert oder zumindest wesentlich technologiegetriebener, dafür bleibt mehr Zeit für zwischenmenschliche Kontakte und den einzelnen Patienten.
Therapien: Die Medizin wird personalisierter
Bereits 2015 ist es dem Konzern Aprecia in den USA gelungen, die Zulassung für ein Medikament zur Behandlung von Epilepsie aus dem 3D-Drucker zu erhalten.
3D-Drucker rücken personalisierte Medizin in greifbare Nähe
Wird der Herstellungsprozess von Präparaten auf 3D-Drucker übertragen, können Medikamente individueller auf die Bedürfnisse der Patienten angepasst werden.
Das hat verschiedene Vorteile: Zum einen können Wirkstoffe kombiniert werden, die in ihrer Zusammensetzung sonst zu porös wären. Zum anderen ist jeder menschliche Körper einzigartig und kann individuell auf Wirkstoffe reagieren. Durch die Entschlüsselung der individuellen Enzyme und Gene und die Möglichkeit des 3D-Drucks sollen Medikamente in Zukunft individuell angepasst werden.
Personalisierte Medizin soll Nebenwirkungen senken und Wirksamkeit steigern
Je besser man die Reaktion des Patienten aufgrund der individuellen Genetik vorhersagen kann, umso verlässlicher lässt sich abschätzen, bei welchen Patienten bestimmte Wirkstoffe wirken und wie stark die Nebenwirkungen ausfallen. Wenn möglich, soll die Therapie passgenau auf die Bedürfnisse der Patienten abgestimmt werden. Unter Umständen kann das individualisierte Präparat dann – nach Absprache mit dem Arzt – in der Apotheke um die Ecke abgeholt oder online bestellt und dann per Kurier zugestellt werden.
Hoffnung auf Organe aus dem 3D-Drucker
3D-Drucker werden auch in der synthetischen Biologie getestet, um lebensfähiges Gewebe und einzelne Genome herzustellen. Durch digital übermittelte Gensequenzen werden diese in 3D-druckbare Dateien konvertiert und per Bioprinter hergestellt. Ziel ist es, passgenau Gene und Organe zu drucken. Dadurch würden die Wartezeiten für Spenderorgane wegfallen.
Nachsorge: Vernetzung und Gesundheits-Apps bieten Unterstützung
Optimale Nachsorge mit Smart Devices
Nach einem Klinikaufenthalt kann die Genesung mithilfe der passgenauen Medikation auch zu Hause stattfinden. Der eigentliche Klinikaufenthalt wird durch die ortsunabhängige Patientenüberwachung mit smarten Messgeräten verkürzt. Dafür müssen Arzt und Patient nicht regenmäßig sprechen, sondern nur, falls Veränderungen durch die App zu beobachten sind.
Eine telemedizinische Zentrale entlastet den Arzt
Die Übermittlung von Patientendaten an eine telemedizinische Zentrale findet beispielsweise über das Smartphone statt. Für Ärzte ergibt sich der Vorteil, den Patienten weiterhin im Blick behalten zu können. Kommt es zu relevanten Veränderungen, schlägt die Zentrale eine andere Medikation oder einen Termin in der Praxis oder vor dem Bildschirm vor.
Anwendungsbeispiel Multiple Sklerose
Hilfreich kann diese Form der Überwachung z. B. für Patienten mit Multipler Sklerose sein. Eine spezielle App misst permanent, ob eine Anpassung des Pflegeplans notwendig ist. Ein weiterer Vorteil ist die Verknüpfung der Daten mit der Patientenakte. Alle Ärzte können so jederzeit darauf zugreifen und sind so auf dem aktuellsten Stand.
Die Chancen sind groß, der Weg ist noch lang
Neben technologischen, juristischen und organisatorischen Hürden, die durch den sich verändernden Ärztealltag entstehen, ist die letzte und vielleicht größte Hürde, eine breite Akzeptanz bei Medizinern und Patienten zu schaffen. Dies kann nur mit einer umfassenden Datenschutzvereinbarung und dem Haftungsausschluss für Ärzte gelingen. Umfassende digitale Technologien und große Datenmengen (einschließlich Genomik) werden nicht nur zu besseren Behandlungserfolgen beitragen, sondern auch die Kostenlast im Gesundheitswesen reduzieren, während die Versorgung insgesamt wesentlich personalisierter wird und dennoch den Versorgungsengpässen entgegenwirkt.
Auch auf coliquio diskutieren Ärzte immer wieder die hier beschriebenen Entwicklungen. Noch sind die Meinungen gespalten:
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„Wir sind noch nicht mal in der Lage schnelles Internet in ganz Deutschland zur Verfügung zu stellen. Ich habe meine Praxis im Landkreis Offenbach in einer kleinen Gemeinde. Das Maximal, das man mir zur Verfügung stellt sind DSL 2000. Davon kommt zumeist nur max. die Hälfte bei mir an.“
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„Wir stehen vor dem digitalen Zeitalter, Computer können bald Vieles besser als Menschen, denn sie haben mehr Gedächtniskapazität und Kombinatorik. Sie werden den Standard-Arzt ablösen, wie bei 80% der derzeitigen Berufe. Es ist sinnlos, sich dagegen zu sträuben. Wir können es nur in gefahrlose Bahnen lenken.”
- Außendienst: Bis dass die Digitalisierung uns scheidet?
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