mHealth steht längst auf der Agenda jedes großen Pharmaunternehmens. Doch der große Erfolg lässt auf sich warten. Laut Pharma App Benchmarking 2017 erreichen nur 0,5 % aller Apps, die von den führenden 12 Pharmaunternehmen veröffentlicht wurden, jährliche Downloadzahlen von über 100.000. Durchschnittlich kommt eine Pharma-App auf gerade einmal 3.300 Downloads. Woran liegt das?

Ich habe mich für Sie im Netz umgesehen und analysiert, womit Pharmaunternehmen momentan die größten Schwierigkeiten haben. Es sind im Wesentlichen fünf Punkte, die über den Erfolg oder Misserfolg einer Patienten-App entscheiden.

5 entscheidende Merkmale erfolgreicher Patienten-Apps

1. Der Fokus

Ohne Frage, der mobile Gesundheitsmarkt ist dynamisch. Ideen für Patienten-Apps sollten daher in die Umsetzung gehen, bevor ein Anderer schneller ist. Dennoch braucht die Konzeption Zeit. Denn wer nur auf Schnelligkeit bedacht ist, läuft Gefahr, eine App zu entwickeln, die keiner braucht. Gregg Fisher, Consultant bei The Stem, hat dies schon häufig beobachtet:

  • In some ways, it’s been the curse of chasing the shiny new thing instead of really taking the time to think about why they’re doing it in the first place.

    Gregg Fisher The Stem / Consultant

Bei solchen Schnellschüssen ist der Misserfolg vorprogrammiert. Jeder, der an der Entwicklung beteiligt ist, sollte wissen, welchem Zweck die App dient und welches Business-Ziel damit verbunden ist.

  • Setzen Sie sich ein klares Ziel und formulieren Sie einen konkreten Patienten-Nutzen. Die App wird ihre Zielgruppe nur erreichen, wenn sie dem Patienten im Alltag zu etwas nütze ist.

Bayer beispielsweise ist in Großbritannien sehr erfolgreich mit Clarityn, der App zum gleichnamigen Heuschnupfen-Präparat. Mit dem Pollenflugkalender bietet sie Allergikern relevante Informationen – und Bayer gewinnt dadurch Reputation und Markenbekanntheit.

2. Der Kontext

Die Erwartungen, die Produktmanager an Patienten-Apps haben, sind oft extrem hoch. Gerade wenn die Kommunikation mit dieser Zielgruppe noch neu ist, gilt eine mobile Anwendung schnell als Nonplusultra. Doch wenn alle Ressourcen in die Entwicklung der App fließen, besteht die Gefahr, ein Silo zu schaffen. Erfolgsversprechender ist es, die App als einen von vielen Bausteinen entlang der Patient Journey zu konzipieren.

  • The best apps out there are a single node of a broader digital ecosystem. All of the pieces fit together.

    Gregg Fisher The Stem / Consultant

Ein Beispiel aus der Medizintechnik: Abbott hat einen daumengroßen Monitor für Herzpatienten entwickelt, der implantiert wird und via Bluetooth und mobiler App den Herzrhythmus an den Arzt übermittelt.

  • Machen Sie die App anschlussfähig für bestehende Technologien. Je vernetzter die einzelnen Bausteine sind, desto höher ist der Mehrwert für den Patienten und dessen Therapie.

3. Die Abgrenzung

Zugegeben, das ist ein schwieriges Unterfangen. Das Angebot an Gesundheits- und Patienten-Apps boomt, ohne dass die Nachfrage im selben Maße steigt, so das Pharma App Benchmarking 2017. Für Nutzer ist das Angebot an Anwendungen, die ein und dasselbe Bedürfnis bedienen, unübersichtlich. Es gibt bereits unzählige Apps, die werdende Eltern in der Schwangerschaft begleiten. Noch mehr Apps helfen Diabetes-Patienten dabei, ihren Blutzuckerspiegel zu managen. Daher ist es für Neuzugänge schwer, die Aufmerksamkeit der Zielgruppe zu gewinnen.

  • Wer eine App in einem Therapiefeld entwickelt, das bereits stark besetzt ist, sollte selbstkritisch prüfen, ob der USP der Eigenkreation hoch genug ist, um die Konkurrenz zu überholen.

Eventuell lohnt es sich eher, eine Nische zu bedienen, wie z. B. Pfizer, die eine App mit passendem Wearable für Hämophilie-Patienten entwickelt haben und damit die Einzigen am Markt sind.

4. Qualität und Usability

Angenommen Sie haben eine App entworfen, die einen klar erkennbaren Nutzen für Ihre Zielgruppe hat und besser ist als die Konkurrenz. Dann ist das eine gute Basis, aber leider noch kein Erfolgsgarant, denn die Nutzung der App muss auch Spaß machen. Der Usability kann gar nicht genug Wert beigemessen werden.

  • Most successful apps do a small number of things exceptionally well. Involve patients in the design process to understand which features will give you the biggest bang for the buck.

    Gregg Fisher The Stem / Consultant

Außerdem ist ein langer Atem gefragt, denn Apps brauchen eine regelmäßige Pflege und Maßnahmen, um das Engagement der Nutzer anzuregen. Bugfixing und regelmäßige Updates sind Pflicht – Kür ist eine Feedback-Funktion, sodass Kritik und Anregungen der Nutzer in die Weiterentwicklung einfließen können.

  • Hinterfragen Sie, ob Sie das alles leisten können. Meist ist es effizienter, gezielt Partnerschaften einzugehen, anstatt alles inhouse stemmen zu wollen.

Das Medizintechnikunternehmen Medtronic beispielsweise kooperiert mit dem Fitness-Tracker-Experten Fitbit, um ein Wearable für Diabetespatienten zu entwickeln.

5. Die Distribution

Steht die Anwendung nun im App Store bereit, ist ein Meilenstein erreicht. Allerdings ist die Umsetzung der mHealth-Strategie damit noch nicht beendet. Ein Ausrollplan muss her – und dafür muss das Projektteam ganz genau wissen, an welchen Touchpoints ihre Zielgruppe auf die App stoßen soll. Neben bestehenden Marketingkanälen können neue Vertriebswege sinnvoll sein. Krankenversicherungen werden hier in Zukunft eine Schlüsselrolle einnehmen. An der Kampagne der Techniker Krankenkasse für die App Tinnitracks kam in den letzten Wochen niemand vorbei und die Konkurrenz hat es in diesem Therapiefeld jetzt sehr schwer.

  • Eine Patienten-App braucht einflussreiche Multiplikatoren. Binden Sie frühzeitig Stakeholder ein, um die Aufmerksamkeit Ihrer Zielgruppe zu gewinnen.

Herausforderung angenommen?

Die Entwicklung einer Patienten-App ist für traditionelle Pharmaunternehmen eine große Leistung. Einerseits fehlen vielerorts noch Erfahrungen in der direkten Kommunikation mit Patienten. Ein Perspektivwechsel ist nötig, um zu verstehen, was Patienten – über das Präparat hinaus – brauchen. Andererseits erfordert die Konzeption mobiler Lösungen technologisches Know-how, das in den Unternehmen erst seit kurzem mühevoll aufgebaut wird und das sich ständig verändert. Nichtsdestotrotz können Pharmaunternehmen die Herausforderung meistern.

Der Auftrag der Ärzte ist klar

Die Ärzteschaft sieht Pharmaunternehmen in der Verantwortung, dem Empowered Patient mobile Anwendungen an die Hand zu geben. Das zeigt unsere Umfrage im Ärztenetzwerk coliquio: 75 % der befragten Ärzte erwarten, dass Pharmaunternehmen in Zukunft verstärkt therapiebegleitende Apps anbieten.

therapiebegleitende Patienten-Apps

Und auch wenn der Start im mhealth-Markt etwas holprig war, hat Pharma bereits Boden gut gemacht. Innerhalb der letzten drei Jahre haben nahezu alle großen Pharmaunternehmen ihre Reichweite deutlich erhöht. Johnson & Johnson hat mit ihrer Fitness-App 7 Minute Workout einen echten Blockbuster geschaffen – der Konzern schnitt im Pharma App Benchmarking am besten ab. Es liegt aber auch auf der Hand, dass eine Fitness-App in puncto Reichweite ein größeres Potential hat als spezialisierte Angebote.

Nicht jede App braucht ein großes Publikum

Apps für Heuschnupfen- oder Diabetespatienten werden hinsichtlich der Downloadzahlen niemals mit einer Fitness-App gleichziehen können – und das ist auch nicht schlimm. Wichtig ist ein klar formuliertes Business-Ziel, um Erwartungen (auch innerhalb des Unternehmens) zu managen und den ROI messen zu können.

Macht man den Erfolg oder Misserfolg tatsächlich an Verkaufszahlen des Präparats fest? Oder geht es darum, die eigene Markenbekanntheit zu steigern oder eine direkte Beziehung zu Patienten und KOLs aufzubauen? Wenn das Ziel feststeht, sollte noch einmal geprüft werden, ob eine App das Mittel der Wahl ist. Eine App ist kein Selbstzweck, sondern ein integraler Bestandteil der Patient Journey – nicht mehr und nicht weniger.

Und das sind die Lieblings-Apps der Ärzte

Ärzte wünschen sich nicht nur Apps für ihre Patienten. Sie nutzen auch selbst gerne welche – lesen Sie hier, welche fünf Apps derzeit auf den Smartphones der Mediziner zu finden sind.

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Kommentare
  • Alex

    Der Artikel spricht bereits einige gute Punkte an, wenn es um die Planung einer neuen App geht. Aus meiner Erfahrung wird die Planung und Konzeption oft nicht gründlich genug durchgeführt. Häufig verlängert sich dann die Entwicklungszeit und damit steigen dann auch die Kosten. Für viele Unternehmen (gerade in der Pharma-Industrie) ist die Entwicklung einer App noch Neuland und wichtige Punkte bei der Konzeption werden vernachlässigt. Mit dieser Checkliste für eine Klinik-App (https://www.flyacts.com/klinik-app) werden die oben angesprochenen Punkte noch mehr vertieft. Bei der Planung eines App-Projekts habe ich hier viel guten Input erhalten.

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Nathalie Haidlauf
Nathalie Haidlauf
berichtet für coliquio Insights über die wichtigsten Marketing-Trends und liefert Inspirationen für die Pharmakommunikation der Zukunft.