Seit April 2017 können Vertragsärzte Videosprechstunden durchführen und über den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) abrechnen.1     Doch werden Videosprechstunden in der Praxis auch schon gelebt? Unsere Umfrage gibt einen Einblick in die Praxisrealität.

Digitale Lösungen finden nur schwer Eingang in den medizinischen Alltag

Als im Jahr 2017 die Videosprechstunde möglich wurde, standen Ärzte der Telemedizin insgesamt positiv gegenüber. Unsere Umfrage ergab, dass 90 % der Ärzte digitale Alternativen zum persönlichen Arztbesuch befürworteten – etwa zwei Drittel in Verbindung mit einem Arztbesuch. 2     Fast drei Viertel der Ärzte erwartete auch, dass Telemedizin bis 2022 fester Bestandteil ihres Berufsalltages werden würde und über die Hälfte der Ärzte zeigte sich gegenüber Videosprechstunden aufgeschlossen. 3,4

Doch schon im letzten Jahr war Skepsis spürbar: Nur 2 % boten die Videosprechstunde tatsächlich an. 5    Und wie sieht es heute aus? Nicht viel besser: Eine aktuelle Umfrage unter 817 Ärzten zeigt, dass immer noch nur 4 % der Ärzte die Videosprechstunde anbieten.

Als wichtigsten Grund dafür, die Videosprechstunde nicht anzubieten, geben insbesondere niedergelassene Ärzte den fehlenden Bedarf an. Und auch Ärzte, die eine Videosprechstunde anbieten, bestätigen zum Teil, dass diese tatsächlich kaum angefragt wird. 6 

  • Ich sehe Probleme mit der Videosprechstunde, weil sie kaum angefragt wird. Das Interesse ist nicht vorhanden.

    Niedergelassener Allgemeinmediziner auf coliquio

Eine weitere Hürde ist der organisatorische und technische Aufwand, er wird von etwa einem Viertel der Befragten hoch eingeschätzt. Genauso hoch ist der Anteil der Ärzte, aus deren Sicht sich Videosprechstunden finanziell nicht lohnen. 6

Und tatsächlich sind die Rahmenbedingungen nicht ideal: Zwar ist das Angebot mittlerweile für alle Fachgebiete verfügbar, aktuell ist die Videosprechstunde jedoch noch nicht gesondert abrechnungsfähig. Derzeit kann sie nur als Ersatz für eine persönliche Vorstellung abgerechnet werden, sofern der Patient im gleichen Quartal zum gleichen Behandlungsfall keinen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt auslöst. Zusätzlich muss der Patient aber in den beiden vorangegangen Quartalen bereits persönlich beim Arzt gewesen sein.

Doch der Wille, Videosprechstunden zu fördern, besteht sowohl bei der KBV als auch bei den Krankenkassen. Sie haben sich darauf verständigt, bis Ende September festzulegen, welche Maßnahmen nötig sind und hierfür auch die Vergütungssystematik zu betrachten. 7

Wer sich traut, schätzt die Vorteile

Insgesamt zeigt sich ein eher positives Bild unter den anbietenden Ärzten: Über die Hälfte sind zufrieden oder sehr zufrieden mit der Videosprechstunde und nur 14 % sind überhaupt nicht zufrieden. 8

Möglicherweise resultiert diese Zufriedenheit auch daraus, dass der tatsächliche Aufwand im täglichen Betrieb geringer ist, als die Ärzte es ursprünglich erwartet haben. Während über die Hälfte der Ärzte in unserer Umfrage 2017 den Aufwand als hoch bis sehr hoch einschätzten 9    , gaben nun über 80 % der Ärzte an, einen mittleren bis keinen Aufwand durch die Videosprechstunde im täglichen Betrieb zu haben. 10

Zusätzlich sehen anbietende Ärzte durchaus auch Vorteile, insbesondere hinsichtlich der Nähe zwischen Arzt und Patient. Da diese Nähe vor allem im ländlichen Raum eine Herausforderung darstellt, können Videosprechstunden hier den Arbeitsalltag der Ärzte erleichtern und gleichzeitig die Patientenversorgung verbessern. 11

Ist der medizinische Austausch per Messenger eine Alternative?

Neben der Videosprechstunde ist auch die Kommunikation via Messenger eine Option für die Ärzte. Über die Hälfte der Ärzte ist offen für diese Kommunikationsform – die Mehrheit sieht diese als Ergänzung zum persönlichen Arztbesuch. 12

Zwar gibt es auch Bedenken, vor allem hinsichtlich des Datenschutzes und inwieweit Messenger insbesondere für ältere Patienten nutzbar sind. 13     Hier werden jedoch technische Lösungen erarbeitet, damit eine leichte Bedienbarkeit gewährleistet ist und höchste Datenschutzstandards eingehalten werden.

Insgesamt sehen die Ärzte im Messenger jedoch das Potential, die Sprechstunde zu entlasten, da hierüber vor allem kurze Nachfragen geklärt und Laborergebnisse schnell übermittelt werden könnten. Ein wichtiger Vorteil im Vergleich zur Videosprechstunde ist auch, dass diese Kommunikationsform unabhängig von Terminen ist. Damit lässt sich die Kommunikation via Messenger gut in den Praxisablauf integrieren. 14

Quellen
  1. Kassenärztliche Bundesvereinigung (Hrsg). Online in die Praxis: Vertragsärzte können ihren Patienten ab April Videosprechstunden anbieten. Informationen für die Praxis März 2017.
  2. Umfrage mHealth, coliquio GmbH, Juli 2017, n=349 Mediziner „Sollten diese Alternativen zum persönlichen Arztbesuch in Deutschland etabliert werden?“
  3. Umfrage mHealth, coliquio GmbH, Juli 2017, n=349 Mediziner „Wenn Technik in der Medizin räumliche Entfernungen überwindet, spricht man von Telemedizin. Dazu zählen z. B. die Videosprechstunde oder Netzwerke zur elektronischen Datenübermittlung. Ein Blick in die Zukunft: Gehen Sie davon aus, dass Telemedizin in den nächsten fünf Jahren fester Bestandteil des Praxis- und Klinikalltags wird?“
  4. Umfrage Telemedizin, coliquio GmbH, November 2017, n=348 Mediziner „Würden Sie selbst telemedizinische Sprechstunden geben?“ (Mehrfachauswahl möglich)
  5. Umfrage Telemedizin, coliquio GmbH, Juni 2019; n=817 Mediziner „Seit 2 Jahren ist die Videosprechstunde legal – bieten Sie diese an?“
  6. Umfrage Telemedizin, coliquio GmbH, Juni 2019; n=817 „Warum bieten Sie keine Videosprechstunden an?“
  7. Kassenärztliche Bundesvereinigung. Videosprechstunde für alle Indikationen geöffnet. Praxisnachrichten vom 04.04.2019.
  8. Umfrage Telemedizin, coliquio GmbH, Juni 2019; n=817 „Wie zufrieden sind Sie mit der Videosprechstunde?“
  9. Umfrage mHealth, coliquio GmbH, Juli 2017, n=349 Mediziner „Sollten diese Alternativen zum persönlichen Arztbesuch in Deutschland etabliert werden?“
  10. Umfrage Telemedizin, coliquio GmbH, Juni 2019; n=817 „Bezogen auf die Videosprechstunde – wie hoch war/ist Ihr Aufwand?“
  11. Umfrage Telemedizin, coliquio GmbH, Juni 2019; n=817 „Welche Vorteile sehen Sie durch die Videosprechstunde?“
  12. Umfrage Telemedizin, coliquio GmbH, Juni 2019; n=817 „Sind Sie offen für die Kommunikation mit Patienten über Messenger?“
  13. Umfrage Telemedizin, coliquio GmbH, Juni 2019; n=817 „Welche Bedenken haben Sie gegenüber medizinischen Messengern?“
  14. Umfrage Telemedizin, coliquio GmbH, Juni 2019; n=817 „Welche Vorteile sehen Sie durch die medizinischen Messenger?“
Messenger

Patienten-Kommunikation via Messenger: Ein Erfahrungsbericht

Wir haben mit einem niedergelassenen Dermatologen gesprochen, der bereits einen Messenger nutzt. Dr. Tim Ermuth berichtet von den Auswirkungen auf sein Patientenmanagement.

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Cindy Hempp
Cindy Hempp
ist Redakteurin in der Pharma-Redaktion bei coliquio. Sie schreibt medizinische Beiträge für Pharmakunden, um relevantes Wissen an Ärzte zu vermitteln.