Wenn Menschen zu Cyborgs werden
Geht es Ihnen auch so? Beim Begriff „Cyborg“ musste ich erst einmal an Arnold Schwarzenegger und erbarmungslose Killermaschinen aus US-Spielfilmen denken. Aber ich erinnere mich auch an Filme, in denen Menschen ihren Körper verändert haben, um auch im positiven Sinne leistungsstärker oder effizienter zu werden.
Bei der Recherche für diesen Artikel war ich dann aber doch überrascht, wie viele Menschen sich heute tatsächlich selbst als Cyborg bezeichnen. Mein Zwischenfazit: Es sollten noch viel mehr werden! Denn viele der selbst ernannten Cyborgs sind durch technische Erweiterungen in ihrem Körper überhaupt erst in der Lage, am normalen Leben teilzunehmen – und dieser Aspekt macht das Thema so relevant für die Pharma- und MedTech-Branche.
Wussten Sie, dass etwa 10 Prozent der US-Amerikaner im technischen Sinn „Cyborgs“ sind? Per Definition ist ein Cyborg ein Mischwesen aus biologischem Organismus und Maschine. Meistens meint man damit Menschen, deren Körper dauerhaft durch künstliche Bauteile ergänzt wurde – nicht zu verwechseln mit Robotern oder Androiden. Beschrieben wurde so etwas schon in frühen Science-Fiction-Romanen. Den Begriff „Cyborg“ prägten aber die beiden Wissenschaftler Manfred Clynes und Nathan S. Kline in den 1960er Jahren mit ihrer Zukunftsvision für menschliches Leben auf anderen Planeten: Nach ihrer Theorie sollte der Mensch sich an ein Leben im Weltall anpassen – als Alternative zur Schaffung von künstlichen, erdähnlichen Atmosphären.
Cyborgs – von sinnvoll …
Auf der ganzen Welt gibt es heute Menschen, die sich selbst als Cyborg bezeichnen. Einer der Vorreiter ist der in New York lebende Avantgarde-Künstler Neil Harbisson. Er ist Gründer der Cyborg Foundation und der erste Mensch, der von einer Regierung offiziell als Cyborg anerkannt wurde. Ursprünglich komplett farbenblind, kann er mit Hilfe einer in seinen Schädel implantierten Antenne Farben „hören“. Das Gerät ist in der Lage, Farben in hörbare Frequenzen umzuwandeln.
Andere Männer und Frauen haben Herzschrittmacher, Cochlea-Implantate, Netzhautimplantate oder Gehirnimplantate für die Schmerztherapie oder zur Behandlung von Epilepsie.
… bis total verrückt
Neben diesen durchaus sinnvollen technischen Erweiterungen gibt es aber auch wahre Freaks, die die Verschmelzung von Technik mit dem Körper zur Kunst machen, sich Kopfhörer in die Ohren einpflanzen lassen oder sich Sensoren für magnetische Strahlung oder seismische Erdaktivitäten unter die Haut implantieren. Eine davon ist die spanische Avantgarde-Künstlerin Moon Ribas, die sich einen seismischen Sensor in den Fuß implantieren ließ und ihre „Sinneserweiterung“ auf der Bühne mit dem Publikum teilt. Ein weiteres Beispiel sind schwedische Biohacker, die mit ihrem Start-up Epicenter immer mehr Menschen einen reiskorngroßen Chip implantieren, der Türen öffnen und andere Geräte wie Büromaschinen steuern kann.
4 Cyborg-Visionen mit Pharma-Fokus:
Die richtige Dosis im richtigen Moment: Wie schön wäre es, wenn man über einen Wächter im Körper den richtigen Zeitpunkt für die Wirkstoffgabe finden könnte? Eine Antwort auf diese Herausforderung fand Prof. Dr. Bernhard Wolf, Experte für medizinische Elektronik an der Universität München. Er entwickelte eine Kapsel, die im Körper neben dem Tumor implantiert wird und das Medikament aus einem Tank freisetzt, sobald das Geschwulst wächst. Interessant ist diese Entwicklung zum Beispiel für Tumore in der Prostata, wo sie zunächst unbedenklich sind und nur selten in ein aggressives Stadium übergehen. Außerdem kann der Patient sich die Info direkt auf sein Handy senden lassen und sich damit selbst überwachen. Wolfs Mitarbeiter wollen noch weiter gehen: Sie arbeiten bereits an einem „Krebswächter“, über den der Patient sehen kann, wie der Tumor kleiner wird.
Vom Sci-Fi-Traum zur Realität: Einige Stunden nach der OP meldet die frisch eingesetzte Niere, dass sie vom Körper akzeptiert wurde … oder auch, dass es Probleme gibt. In der Realität erfahren behandelnde Ärzte diese Info erst nach Tagen, nach weiteren Untersuchungen oder erst, wenn es dem Patienten schlechter geht.
Ebenso denkbar: Künstliche Körperteile wie Hüft- oder Kniegelenke melden auch nach Jahrzehnten Informationen über Material und Hersteller und ermöglichen somit blitzschnelle und sichere medizinische Entscheidungen, und somit auch korrekte Medikamenten-Gabe.
Wie im Science-Fiction-Film: Mit einem Blick aufs Handy den wahren Gesundheitszustand überblicken. Möglich wäre das heute schon. Man müsste es nur schaffen, die Daten aus dem Körperinneren mit weiteren Messdaten, zum Beispiel von Wearables zu kombinieren und auszuwerten. So ergibt sich ein Datenschatz, der den wahren Gesundheitszustand anzeigt. Das würde wesentlich individuellere, schnellere und wirksamere Therapien ermöglichen.
Fazit
Über den Begriff „Cyborg“ kann man sicherlich streiten. Und nicht jeder Mensch mit Herzschrittmacher oder Cochlea-Implantat möchte sich als Cyborg bezeichnen. Aber es gibt bereits heute viele Menschen, die trotz Behinderung, Krankheit oder schwerer Verletzung allein durch ein technisches Implantat ein besseres Leben führen.
Big Data ist in unserem Körper angekommen: Wer es also als Pharmaunternehmen in Zukunft schafft, den Datenschatz aus Implantaten gekonnt mit weiteren Messdaten zu verbinden, erhält quasi aus erster Reihe äußerst wertvolle Insights für die Entwicklung hochwirksamer Therapien und Medikamente. Ob wir so die Evolution beeinflussen und uns an ein Leben auf anderen Planeten anpassen können, sei dahingestellt. Aber technische Erweiterungen für unseren Körper werden zunehmend „normaler“. Letztlich sind wir bereits dabei, die Menschheit an veränderte Lebensbedingungen auf der Erde anzupassen.
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