Ärztediskussion

Beitrag des fragestellenden Arztes für Innere Medizin:

 

„Ich beschäftige mich schon länger mit den ,,Nebenwirkungen“ von Aspirin. Hierzu gibt es multiple Studien mit diversen Aussagen.
Kein Angst vor dem Lesen, alle Verweise sind Med News aus dem deutschen Ärzteblatt und fassen die Studienlage kurz zusammen, es reicht auch einmal kurz reinzuklicken, dann hat man das Wesentliche erfaßt.

Nun eine aktuelle Studie aus dem Ärzteblatt:
ASS könnte vor Melanomen schützen. http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/53768/ASS-koennte-vor-Melanomen-schuetzen

Wenn ich o.g. Informationen zusammenfasse, dann verdichten sich schon die Hinweise, daß Aspirin wesentlich mehr positive als negative Nebenwirkungen hat.
Jetzt hätte ich abgesehen von den bekannten Indikation für ASS 100, also möglicherweise noch eine zusätzliche Indikation –
Krebsprävention bzw. günstigerer Verlauf einer stattgehabten Krebserkrankung.

Sicherlich sollte es nicht gleich dem Trinkwasser zugesetzt werden, aber ab einem gewissen Alter (50?) würde ich es auch ohne Risikofaktoren einnehmen.

Wie sehen Sie das?“

 

blue pills

„Ihren Ausführungen entnehme ich, dass Sie ASS zur Primärprävention einsetzen wollen. Dies bedeutet, dass Sie gesunde Menschen mit einer Pille versorgen müssen, um eventuellen Krankheiten vorzubeugen, die bei diesen Patienten mit großer Wahrscheinlichkeit sowieso nicht aufgetreten wären. Demgegenüber müssen die Kontraindikationen und Nebenwirkungen abgewogen werden, also nicht nur GIT – Erkrankungen, sondern auch ASS – induziertes Asthma und Rhinitis, etc.
Vielleicht ist ein Screening besser als Chemie für alle?“

Allgemeinmediziner

„Der Studienaufwand, um einen Primärpräventionseffekt von Aspirin sauber herauszuarbeiten, wäre m. E. enorm. Letztendlich muss die Zahl der Patienten, die ich behandeln muss, um einen definierten Endpunkt zu verhindern, herausgefunden werden, um für den einzelnen einen prophylaktischen Nutzen (oder auch nicht) zu sehen..“

Allgemeinmediziner


„Über so eine Studie ist letztendlich das VIOXX gestürzt.
Es war eine Studie zur Colon-CA-Prophylaxe. Hier wurde erstmalig ein Cyclooxygenasehemmer als Langzeittherapie eingesetzt. Vorher gab es nur „Kurzzeitstudien“.“

Allgemeinmediziner

„Ich habe, um nichts Verkehrtes zu behaupten, medline von 1960 – 2013 einmal auf die Stichwörter Acetyl-Salcyl-Säure in Kombination mit Prophylaxe, Studie, Vorhofflimmern, Schlaganfall und Thrombose (jeweils immer nur 2 in Kombination und natürlich auf Englisch) durchgesucht. Ergebnis: Ich habe keine prospektive Langzeitstudie gefunden. Wenn Sie welche kennen, dann lasse ich mich gerne vom Gegenteil überzeugen. Die Theorie an sich klingt schon sehr interessant und es gibt tatsächlich viele Hinweise darauf, dass die Cyclooxygenase 2 zumindest beim Colon-CA eine wichtige Rolle spielt. Bei Patienten mit Polyposis findet man z.B. eine sehr hohe COX-II-Expression im Darm. Dies war ja der Anlass für die o.g. Studie mit VIOXX gewesen.
Ehe man aber ASS als „Volksfürsorge“ an alle verfüttert, hätte ich doch gerne prospektive Studien. Es gab schon so viele solche „Märchen“, die sich bei Überprüfung in Luft aufgelöst haben, man denke nur an die Östrogene und ihre ganzen positiven Effekte. Übriggeblieben ist außer Ernüchterung nichts.“

Arzt Innere Medizin


„Natürlich gibt’s über ASS viele, auch Langzeitstudien. Aber keine, die Langzeit prospektiv randomisiert doppelblind mit Ausrichtung auf die Endpunkte, die Sie interessieren, durchgeführt worden ist..“

Allgemeinmediziner


„Ja, aber solche Studien wird es wohl kaum geben können.
Dann kann man entweder das bis zum Sankt Nimmerleinstag bemängeln und oder man zieht seine Schlüsse aus den vorhandenen Studien.

Ich stelle diese Frage ja auch, da mich die derzeitigen Studien bzgl. metastasiertes Melanom aufregen. Maximale Kosten, maximaler Aufwand und riesige Resourcenbindung.
Aber so was Simples, einfach allen Patienten mit nicht metastasiertem Melanom > 2mm ASS oder Placebo zu geben, das untersucht keiner.
Aber immer noch wird dieser Interferon-Quatsch gegeben, in Ermangelung einer adjuvanten Therapie.
Außerdem könnte ASS ja auch zusätzlich zu einer Chemo gegeben werden, auch placebokontrolliert. Macht auch keiner, das ist wohl zu simpel..“

Arzt Haut- und Geschlechtskrankheiten


„Die Pharmaindustrie macht einen großen Teil ihrer Umsätze durch die sehr teuren Chemotherapeutika. Es ist ein florierender Markt. Und wer will schwersterkrankten Menschen, eine Behandlungsoption verwehren. Wir wissen aber, dass wir ja kaum noch pharmaindustrieunabhängige Studien bekommen. Ich weise meine Krebspatienten auf diese Option hin, nach Abwägung der Risiken. Würde es selber nehmen und auch meinen Verwandten geben. Die ohnehin ASS 100 wegen cardialer Probleme nehmen.“

Allgemeinmediziner


„Ja, genau, das ist ja das Problem, die Pharmaindustrie wird wohl nie eine Studie zu so einem Thema machen, warum auch.
Was mich aber viel mehr ärgert, ist dass auch keine Uniklinik so eine Studie macht, oder aber zumindest ASS vs. Placebo begleitend zu eine konventionellen Therapie untersucht. Dürfte ja nicht sonderlich kompliziert sein, die Patienten kommen sowieso, da könnte so eine klinische Studie auch für ein Dr.-Arbeit gemacht werden. Aber da lehnt sich niemand aus dem Fenster. Ich hab da manchmal den Eindruck, die machen auch nur was im Auftrag von Pharmafirmen..“

Arzt Haut- und Geschlechtskrankheiten


„Ich glaube, Ihnen ist nicht klar, was das bedeutet. Da es sich um eine Therapiestudie handelt, muss die Studie entsprechend vom BfArM genehmigt sein. Nach dem neuen AMG ist der Aufwand für so einen Antrag gewaltig. Das geht nur mit einer professionellen CRO oder aber einer UNI-eigenen Studienorganisation. Auch wollen für ihre Leistungen bezahlt werden. Umsonst macht das keiner.
Eine Studie mit 400-500 Probanden kommt mit dem ganzen Aufwand und der notwendigen Versicherung ganz schnell auf 500.000.-€. Da beim ASS aber die Ereignishäufigkeit gering sein wird, dürften 400-500 Patienten nicht ausreichen, da werden wohl eher 4000 – 5000 Patienten erforderlich sein. Das müsste ein Statistiker durchrechnen. Dazu müssten Sie dem Statistiker Angaben machen, wie häufig in einer definierten Population der Endpunkt (=z.B. Colon CA) auftritt und wie groß die erwartete Reduktion des Ereignisses sein wird. Dann rechnet er Ihnen die erforderliche Probandenzahl aus, die Sie benötigen um ein signifikantes Ergebnis zu bekommen. Dabei gilt immer, je geringer der Unterschied zwischen Verum und Placebo und je seltener der Endpunkt in einer definierten Population, desto größer die Zahl der erforderlichen Studienpatienten.
Woher soll die Uni-Klinik dieses Geld nehmen? Das Geld für Studien kommt immer von irgendwelchen Geldgebern, sei es die Industrie oder Stiftungen oder die DFG oder….
Alle müssen aber von dem Konzept überzeugt sein.
Genau da fängt das Problem aber an.

Ich glaube, Sie stellen sich das Alles etwas sehr einfach vor..“

Arzt Innere Medizin


„Finde auch prinzipiell den Ansatz interessant und kenne auch einige Patienten, die es präventiv nehmen. Wenn keine Blutungsrisiken oder Magenprobleme bestehen – warum nicht?“

Allgemeinmediziner

 

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