Zum Auftakt des ersten coliquio Summit am 29.10.2015 in Berlin diskutierten drei Geschäftsführer von Pharmaunternehmen digitale Strategien und Zukunftsszenarien für die Pharmaindustrie. Einige Statements aus der spannenden Diskussion haben wir hier für Sie zusammengefasst. Am Ende des Artikels können Sie zudem das Video der Panel Diskussion ansehen.

Es diskutierten:

Dr. Kai Joachimsen, zuletzt Geschäftsführer Chiesi GmbH (auch in neuer Rolle als CEO tätig)

„You can’t teach an old dog new tricks!“

Michael Pröschel, Head Northern Europe und Geschäftsführer Vifor Pharma Deutschland GmbH

„Ich sehe nicht, dass Pharma ein Nachzügler ist, sicher aber auch kein Vorreiter. Letzteres ist aber auch der Tatsache geschuldet, dass wir uns in einem hochreglementierten und ethischen Umfeld bewegen.“

Farid Taha, General Manager D/A/CH Almirall Hermal GmbH

„Pharmaunternehmen dürfen nicht nur Wegbegleiter der digitalen Transformation sein, sondern müssen auch mit gutem Beispiel voran gehen.“

Hinkt die Pharmaindustrie bei der Digitalen Transformation anderen Branchen hinterher?

Zu Beginn der Veranstaltung zitierte Dr. Holger Schmidt eine aktuelle Studie, der zufolge die meisten Pharma-Entscheider die Digitale Transformation erst in etwa 15 Jahren ganz oben auf der Agenda sehen. Zum Auftakt der Panel-Diskussion wollte er von den drei Geschäftsführern wissen, wie sie zu dieser Aussage stehen:

 

Dr. Holger Schmidt: Glauben Sie wirklich, dass Pharmaunternehmen so weit zurückhängen? Wenn ja, woran könnte es liegen – und wenn nein, wo stehen wir heute?

 ‚Show me data‘ bremst Innovation

Dr. Kai Joachimsen: Meine Meinung ist: Wir sind nicht so weit zurück, wie man denkt, […] aber wir müssen immer sehen, in welcher Branche wir uns bewegen […]. Wir sind in einem sehr konservativen Markt, in einem regulierten Markt und sind alle eigentlich trainiert zu schauen, was bringt was. Es gibt glaube ich keinen Spruch, den wir so oft gehört haben wie ‚Show me data‘. Und mit ‚Show me data‘ können Sie alles, was innovativ ist, natürlich töten. […] Und ich glaube das ist das Thema, das wir adressieren müssen. […]

Mein Statement habe ich deshalb gebracht, weil ich glaube, wir müssen der Tatsache Rechnung tragen, dass wir über etwas Neues sprechen und mit diesen Technologien und dem was möglich ist, sind viele der Entscheider – und ich schließ mich ein – einfach nicht aufgewachsen. Deswegen auch der ‚old dog‘, dem man vielleicht nur begrenzt neue Tricks beibringen kann.

Wir müssen nicht immer die Maximallösung zu bauen

Michael Pröschel: […] Ich hatte ja schon in meinem Statement gesagt: Ich sehe nicht, dass Pharma so ein Nachzügler ist. […] Jetzt müssen wir natürlich differenzieren, […] wir machen viel mehr als nur digitale Kommunikation im Pharmabereich. Ich sehe zum Beispiel nicht […], dass im Forschungsbereich Digital noch nicht angekommen ist, ich glaube gerade die großen forschenden Unternehmen sind mit Big Data und Smart Data schon sehr weit.

Woran es bei uns glaube ich manchmal ein bisschen hapert, das ist der Größe der Industrie geschuldet, wir haben den Startup-Charakter […] nicht. Ich habe mich vorhin mit Herrn Drees von coliquio unterhalten, im Startup-Bereich gibt es den Begriff MVP. Minimal Value Project. Das sind Projekte, da lancieren Sie eine App, Sie schauen ob die zieht, Sie investieren zehn- oder zwanzigtausend Euro, und wenn es nicht funktioniert hat, nicht angekommen ist, dann gehen Sie eben weiter. Das ist Innovationbereitschaft, Risikobereitschaft. […]

Wir müssen uns davon befreien, immer die Maximallösung zu bauen und das wird uns helfen, auch in dem Bereich schneller zu sein. […] Die Frage ist ja auch, müssen wir immer alles selber erfinden. […] was wir nicht selbst entwickeln können, das kann man sich auch kaufen.

Wir brauchen etwas  Zeit – aber auch mehr Experimentierfreude

Farid Taha: Ich glaube, viele Leute […] verstehen die Pharmaindustrie nicht ganz richtig. Wir können uns nicht vergleichen mit Google oder Amazon. Ich will auch gar kein Google oder Amazon werden, das ist nicht mein Ziel. […] Wir sind es in der Pharmaindustrie vielleicht gewöhnt, lange Reisen anzutreten, auch mit vielen Risiken. Wenn Sie schauen, ein Produkt braucht mindestens 10 Jahre, bis es auf den Markt kommt. Das heißt, das ist zäh und auch mit Geduld verbunden. Und vielleicht können wir das auch mit der digitalen Transformation verbinden – wir brauchen ein bisschen Zeit. Aber ich glaube wir haben jetzt schon auch angefangen in den letzten Jahren, einiges zu probieren, wir sind auch risikofreudig.

Was mich ein bisschen ärgert mit der digitalen Transformation ist: Man probiert das immer zu verbinden mit Return on Investment, ROI. Was ist mein ROI wenn ich eine App mache oder Ähnliches. Und ich glaube, da müssen wir in der Pharmaindustrie lernen, auch ein bisschen experimentierfreudig zu sein, vielleicht wie Google und Amazon.

Wie können wir in Deutschland die erforderliche digitale Innovationskultur schaffen?

Dr. Holger Schmidt: Können wir Deutschen das? Experimentierfreudig sein? War ja bisher nicht unbedingt unsere Stärke. Und wenn Sie sagen, ‚Show me data‘ oder ROI – wenn bei jedem Projekt von vornherein die Zahlen stimmen müssen – dann gäbe es kein Google und kein Amazon. Was muss in den Köpfen passieren, damit wir so etwas wie eine Innovationskultur bekommen?

Es ist hilfreich, Digital Natives zuhören

Dr. Kai Joachimsen: Wenn ich die definitive Antwort hätte, wäre ich – mit allem Respekt – in diesem Moment wahrscheinlich nicht hier. Aber was glaube, was hilft ist ein Stück weit Demut und anerkennen, dass man Wandel nicht gut vorhersehen kann. Ich bin beispielsweise ein großer Freund davon, Digital Natives zuzuhören. Ich kann mir nicht vorstellen, was ich nicht kenne. Bereiche, in denen ich mich nicht auskenne, kann ich nicht visualisieren.

Eine Vision, Mut und Geduld als Investitionen in die Zukunft

[…] Ich glaube es ist hilfreich, zuzuhören und Mut zu haben und experimentierfreudig zu sein. Was mir neulich die Augen geöffnet hat, was eine Diskussion über das selbstfahrende Google-Auto. Das kennen Sie bestimmt. Daimler Chrysler, Mercedes weiß genau, dass sich in 10 Jahren fast niemand mehr privat einen Mercedes bestellen wird. Was machen die? Die holen sich den Amerikachef […] nach Deutschland, um das Car2Go-Prinzip nach vorne zu treiben. Ich glaube das ist das, was man haben muss: Geduld; die Vision; zu erkennen, wenn man seine Area of Expertise verlässt und ein bisschen Risikobereitschaft. Das kostet ein bisschen Geld, aber das kann einfach eine sehr gute Versicherung für die Zukunft sein.

Wie möchten Sie in den nächsten 2 Jahren mit Digitalisierung Ihr Geschäft verbessern?

Dr. Holger Schmidt: Was sind so die Low Hanging Fruits der Digitalisierung, die Sie ernten, wo Sie sagen, […] das sind die Dinge, die ich in den nächsten 2 Jahren nutzen will, da wird Digitalisierung mein Geschäft verbessern.

Von der Produktzentrierung zu Kundenzentrierung

Farid Taha: Momentan experimentieren wir, wo die Reise hingehen wird in den nächsten Jahren. Wir probieren auch zu lernen, weg vom Product Thinking zum Customer Centric Thinking. […] Ich glaube Digital ist Teil der Kommunikation, es ist nicht das Einzige. Und was ich momentan erwarte, ist der Mut zu experimentieren und zu probieren und das Risiko einzugehen. Bei Almirall haben wir jetzt […]um an die Ärzte schneller und breiter heranzukommen nicht nur den Außendienst, sondern auch andere Kanäle, ob das jetzt coliquio ist, mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten, aber auch E-Mails und persönliche Telefonate – das ist also alles im Gang. […] Da lernen wir sehr viel und probieren es zu verbessern.

[…] Und ich glaube die Pharmabranche sollte auch den Mut haben, mit innovativen Start-ups und Agenturen, die sehr gute Ideen mitbringen, zusammenzuarbeiten und zusammen zu experimentieren. Und das ist das, was ich mir wünsche für die nächsten Jahre. Experimentierfreudigkeit.

Weshalb gibt es von Pharma so wenige kundenzentrierte Produkte ‚Beyond the Pill‘?

Dr. Holger Schmidt: Ich würde gerne zurückkommen auf mein Asthma-Beispiel von vorhin. Ich mache als Pharmaunternehmen, das ein Asthma-Mittel hat eine App, die weist die Patienten darauf hin, dass sie jetzt in ein gefährdetes Gebiet mit hoher Luftverschmutzung eintreten […]. Das wäre denke ich ein Ansatz, den ein Digitalunternehmen gehen würde. Zu sagen: ‚Wir haben hier Big Data, wir haben die großen Datenmengen über Luftverschmutzung, alle haben ein Smartphone in der Tasche, warum verknüpfen wir das nicht und machen ein Customer-Centric-Produkt daraus?‘ Warum passiert das nicht? Was sind die Gründe warum in Deutschland solche Produkte nicht oder nur im geringen Maße entstehen?

Herausforderung bei patientenzentrierten Produkten: Was ist der Mehrwert für das Unternehmen?

Michael Pröschel: Ich glaube dass wahrscheinlich 50% der Personen im Raum das schon erlebt haben – dass sie sagen, ich hab eine Super Idee für eine App. Wir sind führend im Bereich Asthma, so eine App wollen wir machen. Damit gehen Sie dann zum Geschäftsführer und der fragt Sie: ‚Wo ist denn hier die Differenzierung?‘ Weil sie zwar vielleicht im Impressum schreiben können, die Firma XY hat das hergestellt, aber das Problem ist, der Patient weiß ja in der Regel überhaupt nicht mehr, von welcher Firma sein Produkt ist. Also, ich glaub, allein in diesem Raum sind so viele Ideen und die müssen wir uns auch beibehalten. […] Aber wir müssen sehen, wie können wir als Unternehmen auch einen Mehrwert für uns rausziehen. Oder – vielleicht müssen wir uns auch erlauben, eine lange Zeit mal keinen Mehrwert zu haben.

Build first, monetize later: WhatsApp und Google als Vorbilder

Sie haben das Beispiel WhatsApp genannt. Oder Google. Wer kann sich noch an das erste Mal erinnern, dass er auf Google gegangen ist? Da war einfach eine weiße Seite mit einer Zeile – ich dachte mir immer, wie verdienen die denn ihr Geld? Das ist ja eine NGO. Und das ist in Unternehmen, die Börsennotiert sind oder quartalsweise abrechnen, nicht unbedingt ein Ansatz, der machbar ist.

Und da komme ich wieder darauf zurück – wir müssen uns vielleicht mehr Freiraum für Innovation lassen oder wir müssen bewusst Innovation einkaufen – genauso wie wir auch innovative kleine Startup-Pharmafirmen einkaufen. […] wir müssen vielleicht […] auch einen längeren Atem haben, nicht sofort den Return on Investment zu sehen.

Dr. Holger Schmidt: Ja; Google hat das Geschäftsmodell 2002 erfunden. 1998 wurden sie gegründet. […] Also Jahre später[…] Klar, das muss man sich auch erstmal trauen. Oft geht es auch schief und dann gibt es kein Geschäftsmodell, aber manchmal funktionierts und dann kommt sowas raus wie ein Google, der mit seinen Informationen die Welt beherrscht.

Die Schluss-Statements der Diskutanten

Dr. Kai Joachimsen: […] Mein Tipp an alle im Raum: Versuchen Sie all Ihr Know-How und Ihre Vision [einzusetzen], […] versuchen Sie sich nicht entmutigen zu lassen, versuchen Sie hartnäckig zu bleiben, versuchen Sie hart am Wind zu segeln und seien Sie geschickt genug, den Entscheidern, die nicht in dieser Welt sozialisiert wurden, immer wieder Hoffnungsschimmer zu geben, dass wir sagen, ok noch ein halbes Jahr, ok, noch ein paar tausend Euro.

 

Michael Pröschel: Ich fand die Aussage neulich sehr schön vom CEO von Roche, der nachdem er Google besucht hat gesagt hat – ja, die sind super, die können Big Data, und die können alles. Aber Science und Wissenschaft, das können wir. Und insofern – nur im Zusammenspiel wird etwas Neues entstehen und das ist die Möglichkeit.

 

Farid Taha: Für mich sind Google, Amazon und all die Technologischen Sachen Kommunikationsmittel und ich muss als Pharmaunternehmen dann überlegen, wie kann ich das am besten und optimal einsetzen in meine Kommunikation. Ich will kein Google 2.0 kreieren, das ist nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist es, innovative Produkte, mit einem vielleicht innovativen Kommunikationskonzept an den Kunden zu bringen.

 

Sehr geehrter Herr Dr. Joachimsen, Herr Pröschel und Herr Taha, auch an dieser Stelle nochmals herzlichen Dank, dass Sie Teil des coliquio Summit waren und Ihre Expertise geteilt haben!

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