Ärztediskussion

Beitrag des fragestellenden Arztes für Innere Medizin:

„Vor vielen Jahren las ich – ich glaube im dt. Ärzteblatt – einen Artikel zur Risikoabwägung
der FSME Impfung.

So weit ich mich erinnere wurde das Risiko für bleibende neurologische Schäden durch die Impfung mit ca 1 : 32 000 beschrieben und für solche bei Kontakt /Aufsetzen einer Zecke aus dem Endemiegebiet mit 1: 90 000. Sind diese Zahlen noch aktuell?
Bei diesem Verhältnis sind mir sowohl die Stiko Empfehlung, als auch die Äußerungen der Meinungsbildner und die regelmäßigen Zeitungsartikel im Frühjahr zwar wirtschaftlich aber medizinisch nie ganz vorbehaltlos nachvollziehbar gewesen.
Nun reist wieder eine Patientin ins Endemiegebiet Allgäu.
Ich habe ihr die Stiko Empfehlung und meine Zweifel erläutert.
Eine Internetrecherche legt nahe, dass das Thema Risiko vs. Nutzen bisher nicht konsequent aufgearbeitet scheint.
Dabei geht es ja auch um viel Geld.
Nun erfülle ich hiermit mein Versprechen an die ratsuchende letzte Patientin per coliquio Frage die wertgeschätzte Meinung der Kollegen hierzu einzuholen.
Was empfehlen sie?“

 

„Ich würde allenfalls Patienten, die sich dauerhaft viel im Wald aufhalten eine Impfung empfehlen, wenn diese in einem Endemiegebiet leben.
Vor vielen Jahren wurde ich bei der Bundeswehr FSME geimpft, habe es aber nicht mehr auffrischen lassen, obwohl ich ein einem Endemiegebiet lebe und auch hin und wieder im Wald bin.
Ich habe ehrlich gesagt noch nie von einer FSME Infektion von Patienten berichtet bekommen, ich bin nun auch kein Neurologe, aber mit den Borrelien habe ich häufig zu tun.
Somit habe ich mich für meine Person entschieden, daß das Impfrisiko wesentlich höher ist als eine mögliche FSME. Dabei nehme ich dann ein sehr geringes Risiko von Spätschäden einer FSME Infektion schicksalhaft in Kauf. Es gibt eben keine totale Sicherheit, etwas Risiko gibt es auch im 21. Jahrhundert. Ich gestehe allerdings zu, daß meine Auffassung von schicksalhaften Krankheiten in der heutigen Zeit häufig auf Unverständnis stößt.
Auch ist das Impfthema allgemein sehr emotional beladen, u.a. auch durch die Politik die bei jeder neuen Schweinegrippe gleich eine Massenimpfung propagiert. Ähnlich auch die inflationäre Tetanusauffrischimpfung wenn man mit einer Verletzung in die chirurgische Notaufnahme kommt.

Gucken sie auch mal bei Wikipedia, ist ganz gut dargestellt
http://de.wikipedia.org/wiki/Fr%C3%BChsommer-Meningoenzephalitis

Um ihre Frage zu beantworten:
keine Impfempfehlung für die Dame. Alles andere ist in meinen Augen Panikmedizin.“

Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten


„Genau, ich frage meine Patienten immer „Sind Sie als Trapper und Fallensteller unterwegs? Wenn ja, dann sollten Sie sich impfen lassen.“

Allgemeinmediziner


„Nun, da ein nicht unerheblicher Anteil sich auch im Garten und der häuslichen Umgebung anstecken, blieben diese dann ungeschützt.
Aber eine andere Frage: am häufigsten fragen Eltern nach, ob sie ihre Kinder impfen lassen sollen. Da mit zunehmendem Alter komplizierte Verläufe tendenziell zunehmen, erkläre ich dieses und sage, dass die Erwachsenen ein höheres Risiko und damit eher eine Indikation zu Impfung haben.
Achja – ich bin eher selten „als Trapper und Fallensteller“ unterwegs – aber geimpft!“

Arzt Öffentliches Gesundheitswesen


„Ich lebe in einem Nicht-Endemiegebiet und stelle die Frage meinen Patienten, die in Urlaub in Endemiegebiete fahren. Patienten, die in Endemiegebieten leben, würde ich auch die Impfung empfehlen, ebenso Kindern im Urlaub, da diese ja auch gerne mal durchs Unterholz streifen und sicher deutlich gefährdeter sind als ein reiferes Ehepaar, dass auf befestigten Wegen durch den bayrischen Wald wandert.“

Allgemeinmediziner


„Wir waren 2005 in Oberbayern im Urlaub und haben uns damals grundimmunisieren lassen. Mittlerweile leben wir ja zudem in einem Endemiegebiet (Landkreis Darmstadt-Dieburg); wir sind durchaus öfter per pedes oder mit Fahrrad im Wald und auch abseits der breiten Wege unterwegs.“

Arzt Innere Medizin


„Auch wenn das Risiko tatsächlich höher bei Menschen ab 50 wäre, so frage ich trotzdem, ob die Person schon jemals einen Zeckenbiss gehabt hat. Wenn sie 40 und älter ist und das verneint, empfehle ich eher nicht zu impfen. In der Schweiz gilt Grundimmunisierung mit 3 Impfungen, danach alle 10 Jahre Auffrischimpfung, da es keine Belege dafür gibt, häufiger nachzuimpfen. Ich lebe mitten in einem Endemiegebiet, kenne aber keine Fälle von FSME, hingegen zahlreiche mit Borreliose und auch kompliziert verlaufender Borreliose. Davor habe ich viel mehr Respekt und doziere deshalb das sorgfältige „Lausen“ und die korrekte Entnahme von Zecken. Ich bin sicher, das bring mehr. Ich gebe zu, da ist auch die eine Frau mit einem „Paget’s disease of the nipple“, die ich biopsiert habe, Histologie aber nur entzündlich, die mich dann selbst auf die Diagnose bringen musste: wir haben AB gegeben und es wurde sofort besser, AK waren irgend wann auch positiv, an einen Zeckenbiss kann sie sich nicht erinnern, schon gar nicht an der Brustwarze! — So etwas ist natürlich ein Argument trotzdem zu impfen, auch wenn die Leute angeben, nie von Zecken gebissen zu werden.“

Arzt Frauenheilkunde und Geburtshilfe


„Zwei Fälle in meiner Patientenschaft: 1. damals 19-jähriger, konnte sich nicht an Zeckenbiss erinnern, lebt aber hier in Endemiegebiet (Enzkreis), Lähmung bleibend der Schultergürtel- und Atemmuskulatur -> regelmäßig „Selbstbebeutelung“ bei Ateminsuff., KG, schwerbehindert
2. 66-jähriger Mann, kurz nach Eintritt in die Rente Zeckenbiss (war oft mit Hund im Wald), seitdem schwere Parese der paravert. Musk. mit bleibendem Defizit der Köperaufrichtung, Pat. geht am Stock mit praktisch rechtwinklig abgekipptem Oberkörper.
Wenn man zwei solche Fälle gesehen hat und noch nie bleibende Nebenwirkungen der von mir reichlich verabreichten FSME-Impfung, dann bleibt man dabei. Über hiesige Impfabstände im Vergleich zu Schweizer Empfehlungen, darüber kann man diskutieren.
P.S.: bei beiden FSME nachgewiesen.“

Allgemeinmediziner


„Impfberatung aus dem Bauch heraus, das können Heilpraktiker auch.
In meinem Landkreis, ca 100 000 Einwohner, Südost Oberbayern in 2012 gemeldete Fälle 2, in 2011 vier, in 2010 vier. Nach meinen Informationen jeweils intensivstationspflichtig, darunter der Bruder eines Freundes wochenlang auf Intensivstation.
Gemeldete FSME Impfungen NW siehe Paul Erlich Institut. da sind die objektiven Zahlen.
Persönlicher Hinweis: FSME und Tetanushaltiger Impfstoff am selben Tag, das wird, mindest bei Kindern, schlecht vertragen (z.T. hohes Fieber)“

Arzt Kinder- und Jugendmedizin

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