***Interdisziplinäre Falldiskussion aus dem Jahr 2011 über eine 100-jährige Patientin mit Gonarthrose - mit aktuellem Update aus 2013. Man höre und staune: die betreffende Patientin ist mittlerweile 102 Jahre alt...*** 1721 Leser, 39 Teilnehmer, 105 Kommentare

Beitrag des fragestellenden Arztes für Innere Medizin vom 12.11.2011:

„Liebe Kollegen!
Ich betreue eine Patientin, die ein stolzes Alter von 100 Jahren aufweist! Und das erstaunliche: Sie hat keine relevanten Erkrankungen aus internistischer Sicht! Kein Diabetes, keine Hypertonie. Nierenwerte, Leber sind unauffällig. Nur eine leichte Demenz. Jetzt schränkt eine Arthrose des rechten Knies ihre Beweglichkeit schmerzhaft ein. Keine Arthritis!! Jetzt heißt es, was tun? Eine Operation schließt sich natürlich aus! Mit einem NSAR soll natürlich weder Magen noch Niere schlechter werden. Gibt es alternative Vorschläge? Wer hat Erfahrung? Zum Beispiel mit Wobenzym?“

 

„Was spricht bei der vergleichsweise „gesunden“ Frau gegen eine bedarfsgerechte Schmerztherapie?
Falls die GFR nicht deutlich reduziert ist:
Ich würde ihr (vermutlich nur vorübergehend erforderlich, wenn wirklich Arthrose, ggf. aktiviert) ein NSAR, z. B. Diclofenac, unter PPI-Schutz geben und im Verlauf die Nierenwerte überprüfen..“

Arzt Innere Medizin


„Bin vollkommen der Meinung! Warum wollen sie einer sonst gesunden Patientin eine adaequate Therapie vorenthalten – nur weil sie 100 Jahre alt, aber sonst gesund ist?“

Arzt Innere Medizin


„Schicken Sie die Dame zu einem guten Osteopathen, bin sicher, nach 3 Behandlungen hat sie keine Beschwerden mehr.“

Pneumologe


„Nicht dass ich „beleidigt“ bin: aber wieso beschäftigt sich niemand mit meinem Vorschlag, die alte Dame zu operieren?
Aus anästhesiologischer Sicht ist „Alter“ per se kein Risikofaktor. Wenn der Leidensdruck hoch ist (und das scheint er zu sein, denn sonst hätten Sie den Fall ja nicht zur Diskussion gestellt), habe sie nach der Prothesenimplantation eine alte Dame, die sich ohne Medikamente (organschädigend, den Geldbeutel schädigend) schmerzfrei bewegen kann. Ist das nichts? Wenn alle Beteiligten sich über das Risiko im Klaren sind bzw. eine Risikoabwägung getroffen haben (es wurd hier z. B. da erheblich organtoxische Paracetamol und das auch nicht unproblematische Metamizol empfohlen, intraartikuläre Injektionen sind auch kein Klacks), kann die OP das insgesamt geringere Risiko für die Gesundheit der Patientin darstellen.“

Anästhesiologe


„Da haben wir ein kleines Problem. Prinzipiell haben Sie recht. Aber! Die Patientin möchte nicht operiert werden. Die Angehörigen möchten nicht, dass operiert wird. Und dafür sind die Schmerzen für mich nicht ausgeprägt genug. Und der Leidensdruck variiert. Nach dem Anlaufschmerz geht es meistens. Alles verständliche Argumente! Oder?“

Fragestellender Arzt, Innere Medizin


„In meiner Orthopädie-Assistenzzeit sind wir mit hochbetagten Patienten, die nicht mehr operiert werden konnten/sollten/wollten, so umgegangen: Wenn verträglich, NSAR. Alternativ i.a. Injektionsserien mit Lidocain/Zeel. Alternativ Akupunkturbehandlung. In der Regel treten die Schmerzen ja saisonal auf (Frühjahr/Herbst) – nach einer „Grundbehandlung“ von 10 Behandlungen (Spritzen oder Akupunktur) tat es dann meist eine halbjährliche „Auffrischung“ mit 2 – 4 Behandlungen, dass die Patienten ganzjährig rel. schmerzfrei waren.“

Allgemeinmediziner


„Man sollte es wirklich mit der geringstmöglichen analgetischen Medikation versuchen! Da die Dame medikamentös bisher nicht „verwöhnt“ erscheint, ist das sicher der sinnvollere Therapieansatz!“

Arzt Innere Medizin


„Ich bin von ihrer Idee und ihrem Vorschlag ganz angetan, wollte aber noch wissen in welcher Form es Beinwell gibt? Ich kenne das nicht. Gibt es das in fertiger Form oder muss es der Apotheker anrühren? Dankeschön.“

Fragestellender Arzt, Innere Medizin


„Das gibt es fertig in Salbenform, z.B. Kytta Salbe, höher dosiert gab es das zumindest früher von Weleda als Symphytum 20%. Suche nach dem botanischen Namen symphytum officinale!
Wenn die Patientin einen Garten hat, kann sie den Beinwell natürlich auch selbst anpflanzen – wenn man den einmal im Garten hat, wuchert er wie Unkraut. Die Blätter kann man dann zerstampfen und zu Umschlägen verarbeiten, oder in Quarkwickel mit einrühren, oder in Essig eingelegt zu Umschlägen verarbeiten. Manche Patienten sind für solche Vorschläge sehr dankbar, weil sie das Gefühl haben, selbst etwas tun zu können – andere haben lieber die fix-und-fertig-Lösung aus der Apotheke.“

Allgemeinmediziner


„Zunächst die Phytos: Teufelskralle oder Brennessel (z.B. Hox alpha).
auch Enzyme möglich, eher nicht als Dauertherapie, sondern mal für 2 Wochen z.B.
Dann niedrig potente Analgetika, z.B. Paracetamol auftitrieren – schauen, ob das nicht reicht.
Und dann wäre auch an Hyaluronsäure ins Knie zu denken. Ich habe mehrere ältere (>80J.) Pat., die damit für 6-12 Monate zufrieden waren.
Und dann gibt´s noch die Röntgen-Schmerzbestrahlung.“

Allgemeinmediziner


„Akupunktur, ist Kassenleistung und hilft wirklich. ich mache dies jetzt seit zwölf Jahren und gerade bei der Arthrose ist es wenn jemand weiß was er tut , eine Therapie die eine deutliche Schmerzlinderung, und Verbesserung der Beweglichkeit und Gehstrecke bewirkt.
Dazu eine moderate Physiotherapie.“

Orthopäde und Unfallchirurg


„Ich habe sehr gute Erfahrungen mit feuchten Umschlägen oder Abreibungen mit Retterspitz aüßerlich über Tag und Quarkwickel am Abend. (Quark ca 5mm dick auf ein Frotteeläppchen geben und auf das schmerzende Areal legen, anmodellieren, bis zum Trocknen liegen lassen – ca. 45 Minuten. Vorsicht: es bröselt dann beim Abnehmen). Kniegelenk im Liegen leicht unterpolstern. Dazu für Monate 3x tgl. je 1/2 Zeel + Traumeel Tbl. (1/2 oder 1/4 Tbl reicht aus, in der Homöopathie wirkt die Information, nicht die Menge! Und diese Kombination wirkt auch bei Hunden und da fehlt wohl der Placebo-Effekt). Das Innovazym klingt sehr interessant, würde ich auch geben. Viel Erfolg für die alte Dame!“

Allgemeinmediziner

 

Update des fragestellenden Mediziners vom 21.4.2013:

„Auf vielfachen Wunsch gebe ich Ihnen allen noch eine Rückmeldung und danke nochmals recht herzlich für die Teilnahme an der Diskussion. Die Dame ist inzwischen 102 Jahre alt und hat nur noch selten Schmerzen im Knie. Ich hatte damals viele Anregungen angenommen und letztlich die Patienten eine Zeit lang mit Diclofenac intern und mit Kytta Salbe Behandelt. Seit über einem Jahr gibt es aber keine Probleme mehr. Sie nimmt keine Dauermedikation. Also insgesamt ein erfreulicher Verlauf.“

 

Die coliquio-Kurzumfrage zu Therapieoptionen bei Gonarthrose mit 100 mit 46 teilnehmenden Ärzten ergab folgendes:

Gonarthrose

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