Fallzusammenfassung der Ärztediskussion, Teilnehmer aus den Fachgebieten Allgemeinmedizin, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychiatrie und Psychotherapie, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie, Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Neurologie, Innere Medizin

Aus dem Original-Beitrag des fragestellenden Allgemeinmediziners vom 19. Februar 2014:

„Seit ca. 5 Jahren betreue ich eine junge Frau (32 Jahre), die unter einer schweren Anorexie leidet. (…) Die Erkrankung wird durch eine Depression erschwert. Die Leidensgeschichte ist lang. Viele Klinikbehandlungen und Therapien sind vorausgegangen und haben keinen wirklichen Erfolg gezeigt. (…) In der letzten Woche stellte sie sich nun in meiner Sprechstunde vor. Bei einer Körpergröße von 176 cm beträgt das aktuelle Körpergewicht 35,8 Kg. Meine Patientin eröffnete mir, dass sie keinerlei Klinikaufenthalt mehr wünsche, entweder würde sie das jetzt selber schaffen oder das sei es jetzt halt gewesen.“

Des Weiteren beschreibt der Allgemeinmediziner seine Sorge um die Patientin, weil er das Gefühl habe, dass sie die Situation nicht mehr kontrollieren und einschätzen könne. Der behandelnde Psychotherapeut sei ebenso hilflos wie er selbst. An seine Kollegen wendet er sich mit der Frage, wie sie mit der Situation umgehen würden und ob er eine Zwangsunterbringung in einer Klinik anordnen kann und sollte – denn gleichzeitig will er das Vertrauensverhältnis zu seiner Patientin erhalten.

Die anderen Teilnehmer zeigen größtenteils Verständnis für die Situation und berichten von ähnlichen Patientenfällen. Es wird klar, dass der Umgang mit Anorexie-Patienten für den behandelnden Hausarzt besonders schwierig ist und selbst zu einer psychischen Belastung werden kann. Einige Teilnehmer empfehlen ihrem Kollegen eine Balint- oder Supervisionsgruppe, um den Fall mit anderen Ärzten persönlich aufzuarbeiten.

Einzelne psychotherapeutisch arbeitende Teilnehmer legen sehr ausführlich dar, mit welchen Strategien sie anorektischen Patienten in der Praxis zu einer lebensbejahenden Haltung und mehr Selbstwertgefühl verhelfen konnten. So betont ein Kinder- und Jugendpsychotherapeut, dass sich Fähigkeiten, wie die zur Selbstkontrolle, auch umlenken und positiv einsetzen lassen, wenn es gelingt, die Ideale in der Vorstellung der Betroffenen in eine athletisch-gesundheitsorientierte Richtung zu verschieben. Wichtig dazu sei eine unterstützende Psychotherapie.

Viele Beteiligte äußern aber auch, dass sie eine Einweisung der Patientin für sehr dringlich halten und das Leben der jungen Frau im Zweifelsfall als wichtiger erachten würden als das Vertrauensverhältnis. Einige betonen, dass bei einem BMI unter 14 das Gehirn in seiner Funktion eingeschränkt und die kognitive Fähigkeit, realistische Entscheidungen zu treffen, nicht mehr gegeben sei. In dem Zustand sei auch und die psychotherapeutische Therapiefähigkeit der Patientin fragwürdig. Ein mitdiskutierender Psychiater schlägt vor, alle Beteiligten – auch die Angehörigen und den Psychotherapeuten – an einen Tisch zu holen, um die Entscheidung für einen Klinikaufenthalt anzustoßen. Einige berichten auch, dass ein Antidepressivum in derartigen Fällen manchmal unterstützend sehr hilfreich sei.

Letztlich meldet der fragestellende Allgemeinmediziner sich noch einmal abschließend zu Wort und berichtet, dass er wieder mit der Patientin Kontakt hatte. Ihr Gesundheitszustand sei inzwischen alarmierend (bläulich verfärbte Akren, Tachykardie, diffuse Schmerzen) und er habe vor, nach einem erneuten Gespräch mit ihrem Therapeuten eine Zwangseinweisung zu verfügen.

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