Interdisziplinäre Ärzte-Diskussion mit 28 Kommentaren
Original-Beitrag des fragestellenden Allgemeinmediziners vom 10.02.2014:
„Ich bin von einer Patientin gefragt worden, ob sie während der Chemotherapie Sex haben kann. Die Frage würde man reflektorisch erst mal mit „ja, wenn sie darauf Lust haben“ beantworten. Aber jetzt mal ganz konkret:
1) Sind im Vaginalsekret (od. bei Männern im Ejakulat) Zytostatika nachweisbar?
2) Und ist daher der Gebrauch von Kondomen empfohlen?
3) wie sieht es aus mit Speichel?
4) betrifft das jedes Chemotherapeutikum od. gibt es da Unterschiede (Platine, Doxyrubicin…)“
Carboplatin hat eine terminale Halbwertszeit von 3 Stunden und wird hauptsächlich durch den Urin ausgeschieden. Selbst die biliäre und intestinale Ausscheidung wurde nicht untersucht, deshalb bezweifle ich sehr, dass etwas über das Sperma bekannt ist. Ich kann mir lediglich wenige Stunden nach Applikation überhaupt noch keine sexuelle Aktivität vorstellen, danach ist einem so speiübel…
Doxyrubicin hat eine terminale Halbwertszeit von 17 Stunden und wird hauptsächlich biliär ausgeschieden, nur zu 5-15% renal. Ferner schreibt Pfizer: „Männliche Ratten, denen Doxorubicin an den Tagen 6, 16, 24 und 45 postnatal verabreicht wurde, zeigten bis zum 16. Tag schwere Beeinträchtigungen der Fortpflanzungsorgane und Fertilität. Ab Tag 24 waren die Effekte auf Reproduktionsorgangewichte und Spermienanzahl reversibel, ab Tag 45 waren keine Effekte erkennbar.“
Also ich würde als Partner einer Chemopatientin oder eines Chemopatienten ehrlich gesagt eine Pause einlegen, aber das ist mehr so ein persönliches Gefühl…
Auf ersten Blick kann man sich unter diesen Umständen kaum GV vorstellen. Aber zu bedenken ist, dass die Symptome mit einer gewissen Latenz kommen und bis dahin einerseits der Patient das Chemotherapeutikum noch am ausscheiden ist und 2. deshalb GV auf Grund des AZ bis zum Eintreten der NW vorstellbar ist.
Ich wüsste nicht, dass irgendetwas empfohlen ist außer einer ganz sicheren Verhütung.
Arzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Da es durchaus gut vertragene Chemotherapien gibt und manche Menschen Sex als Kompensation von Angst (die naturgemäß während einer CTx hoch ist) nutzen, dürfte die Frage sogar viel häufiger im Raum stehen.
Da die sichere Empfängnisverhütung und aufgrund der Immunsituation unter Chemotherapie auch die Krankheitsverhütung auch bei relativ ununtersuchten Keimen und nur opportunistischen Erregern im Vordergrund stehen und auch die Schleimhäute ja häufig stark angegriffen sind, muss man wohl viel Rücksicht, den Gebrauch von Kondomen und passendem Gleitmittel empfehlen.
Dann aber sollte nichts im Wege stehen….(Und wenn die Menschen wollen, werden sich sowieso nicht aufhalten lassen……)
Arzt für Allgemeinmedizin
Sex? Warum nicht? Er soll Freude machen…. Und deshalb ist diese Wirkung hilfreich beim „Verdauen“ der Chemotherapie.
Es gibt nur zwei Dinge, die zu beachten sind:
1. Verhütung – auch unbedingt Monate danach !!, denn die keimschädigenden Nebenwirkungen halten lange an (von Substanz zu Substanz natürlich unterschiedlich)
2. Je nach verwendeter Chemotherapie können Schleimhäute mehr oder weniger stark betroffen werden. Hier ist deshalb eine suffiziente Schleimhautpflege wichtig – an allen! Schleimhäuten. Im Genitalbereich bei Frau ist übrigens Olivenöl (extra virgine, also säurearm) sehr pflegend und gut verträglich, auch während des Verkehrs.
Medizinische Einwendungen gegen Sex gibt es also nicht wirklich.
Arzt für Urologie
Sex ad libitum – frei nach Lust und Laune, ich würde zuraten! (…) Falls ein Gleitmittel benötigt wird: Deumavan. Besser als Olivenöl, da es nicht ausläuft und keine Fettflecke im Bett verursacht. Kann man übrigens jeder Frau empfehlen, bes. den postmenopausalen, die mit ihrer kolp.sen. so ihre Problemchen haben.
Arzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Ich würde der Patientin auch unbedingt zuraten und hätte auch keine Bedenken wegen der Chemotherapie.
1. Ist es schon mal positiv, wenn sie trotz Chemo+ maligner Diagnose überhaupt Lust auf Sex hat- warum also ihr diese Gefühle ausreden?
2. Kann Sexualität fast alle Krankheiten und die Nebenwirkungen der Chemo lindern, sie besser ertragen lassen. Gemeint ist damit nicht zwanghaft koitale Sexualität, sondern Kuscheln, Streicheln, das Gefühl der Nähe des geliebten Menschens, Hautkontakt, Geborgenheit, in den Arm genommen werden usw.
Arzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Öl und Latex-Kondome gehen gar nicht. Das muss auch die Patientin wissen.
Öle sollten nur bei latexfreien Kondomen verwendet werden… und Deumavan verträgt sich auch nicht mit Latexkondomen bzw. Kondomen aus Polyisopren (Produktinfo).
Ich hätte gedacht, dass die Gyns und Urologen noch einmal darauf hinweisen…?
Arzt für Neurologie
sola dosis facit venenum!
Wusste man schon im 2. Jhd. n.Chr.
Da Mann nur relativ kurz Kontakt mit Frau hat, ist die Aufnahmezeit für etwaig vaginal vorhandene Chemotherapeutika für zu kurz, um Nebenwirkungen bei ihm zu erzeugen.
Umgekehrt wäre das anders, da zytostatikahaltiges Sperma eine ganze Zeit vor Ort verbleiben kann. Mann mit Chemo – klar Kondom. Frau mit Chemo – aus med. Gründen dafür nicht notwendig.
Arzt für Urologie