Bei coliquio arbeiten wir inzwischen sehr agil und selbstorganisiert, da wir davon überzeugt sind: In einer hochdynamischen und digitalisierten Umgebung benötigen wir neue Arbeitsmethoden, um erfolgreich zu sein. Wir haben mit coliquio-Gründer und Geschäftsführer Martin Drees geredet, welche Herausforderungen sich dadurch für das Management ergeben und wie coliquio sich dahin entwickelt hat:

Warum ist heute eine neue Art von Management erforderlich?

Martin Drees: Management kommt aus dem Lateinischen und heißt übersetzt „dressieren“. Der überwiegende Teil der Management Literatur der 80er/90er Jahre ist stark militärisch geprägt: Einer hat die nötigen Kompetenzen und muss seine Vision und die damit verbundenen Aufgaben so klar wie möglich kommunizieren, damit alle anderen in der Organisation genau das machen, was richtig ist. Das Management der 80er Jahre war klassisches „Command and Control“. Viele bekannte Begriffe, wie „Berichtswege“, „Vorgesetzter“ und so weiter sind aus dieser Zeit.

Diese Art von Management kann funktionieren und du kannst damit sogar sehr erfolgreich sein. Es gibt nur ein gravierendes Problem: Im klassischen „Command and Control“ Management muss die Person, die alle Entscheidungen trifft, ganz genau wissen, was in allen Fällen zu tun ist und die „Mitarbeiter“ führen diese Entscheidungen so exakt wie möglich aus. In der Softwareentwicklung der 80er/90er Jahre gab es deswegen Lasten- und Pflichtenhefte, in denen ganz klar festgeschrieben wurde, welche Software der Auftraggeber haben möchte und wie der Mitarbeiter sie programmieren soll, wo welcher Button sein soll usw. Am Ende wurde ein Produkt geliefert, das wahrscheinlich niemand benutzen kann, denn in dieser Software steckten zu viele Annahmen und Hypothesen, die niemals validiert werden konnten. In dem hochdynamischen Umfeld, das sich ständig verändert, können Firmen heute nicht mehr so linear geführt werden. Eine Firma muss sich viel schneller an Marktveränderungen anpassen können und damit muss sich auch die Rolle des Managers grundlegend wandeln.

Wie unterscheidet sich modernes Management davon? Wie hat es sich entwickelt?

Martin Drees: Modernes Agiles Management ist aus der Softwareentwicklung heraus entstanden, diese geht heute einen komplett anderen Weg: Zentral ist ein iteratives Vorgehen, bei dem so oft wie möglich Feedback vom Kunden eingeholt wird. Dazu werden Hypothesen aufgestellt, z.B.: „XY will der User haben“. Dann wird diese Hypothese getestet. Liegen wir richtig, bauen wir weiter, liegen wir falsch, schauen wir, was wir ändern müssen. So ändert sich der gesamte Prozess, du kommst sehr stark weg von diesem jahrelangen Milestone-Plan, stattdessen evaluierst du alle 14 Tage, welcher Weg der richtige ist.

In einer Top-Down-Struktur funktioniert ein solches Vorgehen nicht. Testet ein Team etwas für zwei Wochen, müsste dies über Berichtswege nach oben kommuniziert werden und der Manager muss es verstehen. Das allein gestaltet sich meistens schwierig, da er nicht im Thema ist. Dann muss er es wieder durch seine Berichtswege nach unten entscheiden und die Mitarbeiter müssen das wieder verstehen. Bis das durch alle Gremien gegangen ist, sind schnell acht Wochen vergangen. Deswegen braucht es ein Management, bei dem Mitarbeiter selbstbestimmt Entscheidungen treffen können. Das geht dann über die Softwareentwicklung hinaus und greift über auf alle Teile des Unternehmens.

Wir könnten zum Beispiel einen Marketingplan für das ganze Jahr schreiben und uns ausschließlich daran orientieren – darin stecken aber zu viele ungetestete Hypothesen (was wünschen sich unsere Kunden und Partner?). Deswegen gehen wir auch hier konsequent einen neuen Weg und arbeiten in 14-tägigen Sprints. Wir schauen unter anderem, wie groß das Interesse an einem Veranstaltungsformat, z. B. die coliquio Breakfast Lounge, ist. Funktioniert dieses Format an einem Ort, setzen wir weitere in anderen Städten um.

Welchen Herausforderungen steht der Manager in diesem Setting gegenüber?

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Martin Drees: Führen in einem Agilen Management Setting ist ungleich komplexer, als in einem klassischen „Command and Control“ Umfeld, in dem du nur sicherstellen musst, dass deine Mitarbeiter verstanden haben, was du von ihnen möchtest. Die Kontrolle erfolgt über wöchentliche Reports – da spielt der Reifegrad des Mitarbeiters erstmal keine wesentliche Rolle, da du sie in jedem Fall ständig kontrollieren musst. Natürlich ist das etwas überspitzt formuliert und nicht immer genauso der Fall, aber es ist schon das grundsätzliche Mindset.

Im Agilen Management trifft der Manager eigentlich keine operativen Entscheidungen mehr. Aber das kann man natürlich nicht von einem Tag auf den anderen umsetzen: In einem neuen Team mit unterschiedlichen Reifegraden – einer mit zwei Jahren Erfahrung, der andere mit zwei Wochen – kannst du als Manager natürlich nicht hingehen und die Mitarbeiter alle Entscheidungen allein treffen lassen.

Agiles Management ist deswegen eine konstante Gratwanderung: Bist du zu nah am Team, nimmst du dem Team dadurch die Chance für Selbstverantwortung oder du bist zu weit weg und überforderst das Team. Es gibt dafür jedoch einige hilfreiche Tools für den Manager, ein Beispiel ist „Delegation-Poker“,  bei dem Manager und Mitarbeiter gemeinsam den Grad der Delegation für Aufgaben bestimmen.

Wie hat coliquio Agiles Management im Unternehmen implementiert?

Martin Drees: Wir haben tatsächlich ungewollt sehr traditionell und hierarchisch angefangen. Nicht bewusst – ich war eigentlich immer der Auffassung, Mitarbeiter sollten viel selbst entscheiden. Aber Selbstverantwortung passiert in fast allen Fällen nicht von allein, es braucht die richtige Umgebung dafür. Im Umkehrschluss: die meisten Leute, die bereits in anderen Firmen gearbeitet haben oder Berufseinsteiger sind, erwarten, dass der Manager ihnen sagt, was zu tun ist. Dieses Mindset zu ändern ist ein längerer Prozess.

Bei uns kam es tatsächlich durch die Softwareentwicklung mit unserem Chief Technical Officer Stefan Engels und mit unserem Chief Product Officer Markus Munk und übertrug sich dann auf alle anderen Geschäftsbereiche. Es war eigentlich eine logische Entwicklung: Durch die Arbeit in 14-tägigen Sprints „zwingst“ du den anderen Stakeholdern diesen Prozess praktisch auf. Im Agilen Framework braucht die Softwareentwicklung laufend Input von den Stakeholdern und es reicht nicht mehr, lediglich ein Pflichtenheft zu schreiben. Dadurch, dass die Stakeholder ständig Input geben müssen, sind sie viel näher an den Mitarbeitern und rutschen automatisch in diesen Scrum-Rhythmus mit hinein. Als wir im Management gemerkt haben, welche Vorteile diese Arbeitsweise hat, haben wir uns natürlich die Frage gestellt, wo wir das noch einsetzen können, um mehr Flexibilität und Selbstverantwortung zu ermöglichen. So ging das Stück für Stück bei coliquio.

Wie sieht Agiles Management bei coliquio ganz konkret aus?

Martin Drees: Das ist von Team zu Team unterschiedlich. Wir haben ganz praktisch mit Tools angefangen – ich kann zwar alle Mitarbeiter in Workshops schulen, eine Veränderung im Denken und Handeln bewirke ich aber dadurch nicht.

Viel erfolgreicher ist es, einfach mal ein Kanban-Board einzuführen und zu sagen „wir treffen uns jetzt mal jeden Morgen und besprechen den Tag“. So weiß jeder, was der andere macht, die Mitarbeiter verstehen sich dann mehr als Team und fangen an, bei Problemen gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Dann wird der Prozess erfahrungsgemäß viel eher gelebt.

In unserem Pharma-Tribe (allen Teams, die unsere Pharmakunden betreuen) arbeiten wir erst seit einen knappen halben Jahr im agilen Setting und sind noch sehr nah an diesen Tools. Bei der Softwareentwicklung arbeiten wir schon seit zwei Jahren agil und die Tools sind ein natürlicher Bestandteil.

Was ist die größte Veränderung für dich als Manager im Vergleich zu früher?

Martin Drees: Die Diskussionen über das Thema Management haben stark zugenommen: Wie führe ich Leute? Welches Team muss ich auf welche Weise führen? Und: Was braucht das Team von mir? Das nimmt wesentlich mehr Raum ein und ist ein deutlicher Mehraufwand. Du musst dich jeden Tag anpassen und hinterfragen, denn jeder Tag und auch jede Herausforderung ist anders.

Und als agiler Manager ist der Reifegrad ein Riesenthema: Bei einem Team bist du sehr weit weg und unterstützt aus der Ferne und ein anderes Team musst du noch viel mehr an die Hand nehmen und näher dran sein.

Welche Bestandteile von Agilem Management kann auch ein Manager in einem klassischen Umfeld umsetzen?

Martin Drees: In einem Produktteam bestehend aus Marketing, Produktmanager und vielleicht noch einen Medical Advisor wäre ein guter erster Schritt, mit einem täglichen Stand-up-Meeting an einem gemeinsamen Kanban-Board zu arbeiten. Das kann schon große positive Effekte haben, da es zu gemeinsamer Ownership und Abkehr von linearen Prozessen führt. Im zweiten Schritt könnte der Manager ein „Delegation Poker“ mit seinen Mitarbeitern machen und festlegen, welche Entscheidungen das Team alleine treffen soll und welche mit dem Manager abgesprochen werden sollen. Anspruchsvoll wird es dann, wenn Stakeholder eingebunden werden müssen und diese auch von dem 14-tägigen Rhythmus betroffen sind.

Womit man immer anfangen kann, ist das Vorleben des Agilen Mindsets: Du versuchst als Manager nicht selbst Tore zu schießen, sondern du hilfst deinem Team dabei. Gleichzeitig braucht der Agile Manager auch ein anderes Wertesystem als ein Command and Control Manager. Wenn es einem wichtig ist, immer der Schlauste im Raum zu sein und alle Entscheidungsmacht zu haben, tut man sich in einem agilen Setting schwer. Es erfordert viel mehr Vertrauen in die Mitarbeiter und das Team.

 

Vielen Dank Martin, für das Gespräch.

Wollen Sie mehr wissen?

Den zweiten Teil des Interviews können Sie nächste Woche lesen. Darin haben wir Martin Drees gefragt, wie ein Unternehmen eine Kultur für agiles Management schaffen kann, ob Selbstorganisation wirklich für jeden geeignet ist und wie bedeutend eine „Fehlerkultur“ heute ist.

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