In einer hochdynamischen Umgebung können Unternehmen nicht mehr statisch und hierarchisch geführt werden. Agiles Management setzt deswegen auf Selbstorganisation und legt so viel Entscheidungshoheit wie möglich ins Team. Die Aufgabe des Managers ist nicht mehr die des „Bestimmers“, sondern ähnelt sehr viel mehr der eines Coaches, der den Teams hilft, ihren Entscheidungsspielraum optimal zu nutzen.

Im ersten Teil haben wir mit Martin Drees darüber geredet, warum es überhaupt Agiles Management braucht und wie die Reise von coliquio dorthin war.

Auch bei coliquio gab es eine Entwicklung von klassischem zu agilem Management.

Wie habt ihr als Management eine Umgebung geschaffen, die Selbstverantwortung fördert?

Martin Drees: Entscheidend sind im Wesentlichen drei Bestandteile: Coaching, Empowering, Enabling.

Erst einmal musst du dich als Coach begreifen. Das ist für viele Manager aus einer klassischen Umgebung sehr ungewohnt. In der klassischen Umgebung – überspitzt dargestellt – ist der Chef der Klügste mit der meisten Erfahrung, der die meisten Entscheidungen trifft – die anderen führen aus. Da kann es passieren, dass der Chef am Ende eines Designprozesses sagt: Das musst du jetzt alles noch einmal ändern, das gefällt mir so nicht.

Der Agile Manager stellt das alles auf den Kopf: Sein Ziel ist es, dass er sich aus den operativen Entscheidungen zurückzieht, er aber sein Team so gut trainiert und unterstützt, dass es in der Lage ist, operative Entscheidungen selbstständig zu treffen. Um eine Bergsteigermetapher nutzen: Früher waren die Mitarbeiter die Sherpas, die den Chef auf den Gipfel getragen haben und das Ziel war, dass er oben steht. Mittlerweile ist es komplett andersherum. Du bist als Manager der Bergführer und dein Ziel muss es sein, dass am Ende deine Leute oben stehen.

Diese Änderung ist sehr grundlegend und nicht jeder Manager schafft es, sein Denken dahingehend zu verändern. Es verlangt von dir, viele eingeübte Verhaltensweisen zu verändern und neue zu erlernen.

Der zweite Bestandteil ist Enabling: Als Agiler Manager beseitigst du Hürden für deine Mitarbeiter, da kein Team alles selbst regeln kann. Kommt z.B. das Marketing Team mit einer Idee zu dir, die aber nur gemeinsam mit der Vermarktung möglich ist, dann musst du Brücken bauen und alle ins Boot holen.

Und dann ist es wichtig, sein Team zu empowern, damit es im positiven Sinn mehr Macht ausüben kann und mehr Entscheidungen selbst treffen kann. Dabei kann es z.B. ein Ziel sein, ein Team so weit zu bringen, dass es selbst entscheidet, wer Mitglied ist, wer was macht und in sehr reifen Teams auch, wer wieviel verdient. Wichtig dabei ist es, im Kleinen anzufangen und sich Schritt für Schritt vorzuarbeiten.

Wenn der Agile Manager vor allem Coach ist, ist er dann irgendwann überflüssig?

Martin Drees: Berechtigterweise stellt sich natürlich die Frage: Benötigt man den Manager überhaupt noch oder muss es sein Ziel sein, sich überflüssig zu machen? Wir sprechen in diesem Zusammenhang von Flughöhen: Die niedrigste ist die operative Flughöhe, vereinfacht alle Aufgaben und Entscheidungen, die auf ein Team im Zeitraum von zwei bis vier Wochen zukommen. In einem Softwareentwicklungsteam ist diese Flughöhe ein vierzehntätiger Sprint. Hier ist das klare Ziel des Managers, sich komplett rauszunehmen. Alle Entscheidungen in diesem Spielfeld soll das Team selbst treffen, sobald es die nötige Reife dazu hat.

Dann geht es aber auf die Quartalsebene, z.B. definieren wir OKRs für die gesamte Firma und stellen uns die Frage: Was ist im nächsten Quartal das wichtigste für die Firma? Dabei ist ein ganz klarer Dialog zwischen Team und Manager gefragt. Der Manager bringt die langfristige Perspektive ein und das Team die operative.

Die Jahresperspektive, also eine Vision und die Beantwortung der Frage, wo die Abteilung in einem Jahr stehen soll, sind die Domäne des Managers. Er definiert nach wie vor die Strategien, langfristigen Ziele und stellt ausreichend Kapazitäten sicher. Wenn er sich aus den Entscheidungen des Tagesgeschäfts heraushält, kann er diese Entscheidungen besser treffen und umsetzen.

Wenn das Team alle Verantwortung hat, wie sieht es dann mit Fehlern aus?

Martin Drees: Das ist tatsächlich eine Herausforderung und kann nur bei einer positiven und konstruktiven Fehlerkultur funktionieren. Als Manager musst du mit ganzem Herzen dazu bereit sein, die Verantwortung in die Teams abzugeben. Und ja: das heißt, dass die Teams Fehler machen können und auch werden. Denn wenn sie keine Fehler machen, gehen sie anscheinend nicht offensiv genug vor. Fehler müssen deswegen als Chance erkannt werden. Klar freue ich mich nicht, wenn wir einen Kunden unzufrieden gemacht haben, das ist bei uns natürlich ein sehr sensibles Thema. Aber ein „guter“ Fehler, der entstanden ist, weil wir etwas Ambitioniertes probiert haben und es nicht funktioniert hat, ist eine gute Sache. Deswegen musst du einfach unterscheiden: Hat das Team etwas probiert und es war im Nachhinein die falsche Entscheidung – tolle Sache. Hat ein Team leichtsinnig gehandelt und war nachlässig – keine gute Sache. Im Kern geht es darum, mit Fehlern in einer positiven Art und Weise umgehen.

Was ist die größte Herausforderung für den agilen Manager?

Martin Drees: Die mit Abstand größte Herausforderung als Agile Manager ist, ein gutes Gefühl dafür zu entwickeln, wie nah beziehungsweise weit weg ich vom Team sein muss oder kann.

Einem Team, das zum Beispiel aus Leuten besteht, die alle neu bei coliquio sind oder auch generell wenig Berufserfahrung haben, kann ich nicht sagen: Passt auf, das sind eure Quartals-OKRs, wir sprechen uns in drei Monaten wieder – das kann einfach nur schiefgehen. Mit denen muss ich als Coach, um in der Sportmetapher zu bleiben, erst einmal beibringen, Tore zu schießen. Mit einem „Bundesliga“-Team muss ich das natürlich nicht mehr.

Eine weitere wichtige Erkenntnis für mich war: Es gibt kein grundlegendes Richtig oder Falsch. Du musst als Manager jede Situation und jedes Team neu bewerten und entscheiden.

Ganz praktisch haben wir in unserem Pharma-Tribe (Pharma-Abteilung) gelernt: In Phasen, in denen der Projektdruck niedrig ist, können wir sehr viel Verantwortung übergeben und die Mitarbeiter haben Zeit, sich die nötigen Gedanken zu machen. Geht es aber zum Beispiel im vierten Quartal in die absolute Hochphase, dann kann ich nicht von den Teams verlangen, sich Gedanken über ihren Planungsprozess zu machen, sondern muss sie enger im Tagesgeschäft begleiten. Dabei ist es wichtig, immer offen und transparent deine Motivation zu kommunizieren und die Teams einzubeziehen. Du bist tatsächlich mehr Dienstleister deines Teams und sie sind nicht deine Untergebenen.

Ist agiles Management etwas, das für jedes Unternehmen und jeden Mitarbeiter geeignet ist?

Martin Drees: Ganz klar: nein, als Mitarbeiter musst du das wollen. Es ist sehr viel unbequemer als eine hierarchische Struktur. Es gibt Leute, die fühlen sich wohler damit, wenn jemand ihnen klar kommuniziert, was sie tun sollen. Wenn man Angst vor eigener Verantwortung hat, dann ist man in einer solchen Umgebung nicht zuhause.

Selbstverantwortliches Arbeiten sorgt auch für einen gewissen Mehraufwand. Erwartest du von Teams selbstverantwortliches Arbeiten, musst du ihnen auch die Zeit einräumen, sich zu organisieren und auch zu korrigieren, und die richtigen Prozesse zu implementieren. Du musst mit dem Team zusammen definieren, welche Entscheidungen vom Team getroffen werden und welche vom Manager. Daher kommen auch die vielen Meetings bei coliquio, das ist der Preis, den du für Selbstorganisation bezahlst.

Bei Firmen, für die Innovation kritisch ist, lohnt sich das absolut, in einem Produktionsbetrieb mit hoher Fluktuation und geringem Innovationsbedarf ist das eventuell nicht zielführend.

Agiles Management ist auch kein Selbstzweck. Ich fühle mich ganz klar wohler in einer selbstorganisierten Umgebung, da ich die Erwartung an meine Mitarbeiter habe, dass diese sich auch selbst organisieren wollen. Gleichzeitig ist ein klarer unternehmerischer Antrieb dahinter. Wir wollen flexibler und schneller in unseren Entscheidungen und deren Umsetzung sein und dadurch bessere Ergebnisse erzielen. Die Entscheidungen werden besser, da sie von den Leuten getroffen werden, die sich damit am intensivsten auseinandersetzen und wir können ungleich schneller auf Marktsituationen reagieren. Ist man in einem Umfeld tätig, wo diese Fähigkeiten notwendig sind, dann bist du mit diesen Management Methoden genau richtig.

 

Vielen Dank Martin, für das Gespräch

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